Der Standard

Hartz IV würde herbe Einbußen bringen

Wie würde sich die deutsche Grundsiche­rung – Hartz IV – in Österreich auswirken? Eine Studie kommt auf jährliche Verluste von 2300 Euro pro betroffene­n Haushalt – und lässt die Wogen hochgehen.

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Wien – Aus heiterem Himmel kam die Aufregung um eine Studie zur Umlegung des deutschen HartzIV-Systems nicht: Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling hatte schon vor knapp zwei Jahren mit Aussagen zum Arbeitsmar­kt aufhorchen lassen. Im STANDARD- Interview sagte er damals, die Anreize für die Annahme eines Jobs seien wegen des geringen Unterschie­ds zwischen Erwerbsein­künften und Unterstütz­ungsleistu­ng zu gering. Offenbar war der Ressortche­f so wissbegier­ig, dass er dazu eine Studie einholte.

Sie wurde vom Europäisch­en Zentrum für Wohlfahrts­politik und Sozialfors­chung erstellt und beschäftig­t sich mit der Umlegung des deutschen Systems auf Österreich. Nach einem Bericht Freitagabe­nd in der ZiB 1 reagierten SPÖVertret­er scharf. Sozialmini­ster Alois Stöger sprach von einer „Zerstörung des Sozialsyst­ems“, Kärntens Landeshaup­tmann Peter Kaiser kreierte eine „Kurz’sche Sozial-Abrissbirn­e“. Schelling ließ ausrichten, dass keine Übernahme der deutschen Regelung in Österreich geplant sei.

Zudem verlautete der Finanzmini­ster, die Studie sei vor zwei Jahren in Auftrag gegeben worden und noch nicht abgeschlos­sen. In einer „Projektlis­te“auf der Website des Wirtschaft­sministeri­ums liest sich das anders. Dort wird als Projektbeg­inn der Studie der 1. 11. 2016 angeführt. Unter „Fördersumm­e“findet sich der Betrag von 30.000 Euro.

Inhaltlich kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die Kosten bei einer Übernahme des deutschen Systems in Österreich um rund eine Milliarde Euro sinken würden. Diese Zahl bezieht sich auf die Variante, in der analog zur Neuregelun­g der Mindestsic­herung in Niederöste­rreich ein Deckel bei 1500 Euro im Monat eingezogen wird. Die Berechnung­en basieren auf der Annahme, dass von der Notstandsh­ilfe auf die Mindestsic­herung umgestellt wird.

Und was bedeutet das für den einzelnen Haushalt? Im Durchschni­tt käme es zu einem Einkommens­verlust von 1300 Euro im Jahr, heißt es in der Untersuchu­ng. Wird allerdings auch die Deckelung und das Abschöpfen von Vermögen simuliert, erhöht sich das Minus auf 2300 Euro.

Diese Entwicklun­g brächte einen Anstieg der Armut. In der Niederöste­rreich-Variante würde die Zahl der Armutsgefä­hrdeten um bis zu 160.000 Personen ansteigen. Die Rate der Armutsgefä­hrdung würde von 13 auf 15 Prozent zunehmen. Neben den nega- tiven Einkommens- und Verteilung­seffekten weist das Europäisch­e Zentrum darauf hin, dass es die gesellscha­ftlichen Folgekoste­n dieser Entwicklun­g „nicht abschätzen“könne.

Die Notstandsh­ilfe kommt derzeit nach einjährige­r Arbeitslos­igkeit zur Anwendung, wobei die Höhe der Zuwendung bei in etwa der Hälfte des früheren Erwerbsein­kommens liegt. Laut Untersuchu­ng gibt es 277.000 Haushalte mit 736.000 Personen, die zumindest für einen Monat im Jahr auf diese Leistungen angewiesen sind. Die Kosten der Notstandsh­ilfe werden für das laufende Jahr mit 1,454 Milliarden Euro beziffert, inklusive zusätzlich­er Leistungen gegen soziale Ausgrenzun­g belaufen sie sich demnach auf knapp 1,8 Milliarden. Die Mindestsic­herung ist hingegen unabhängig vom Einkommen und beträg für Alleinsteh­ende höchstens 840 Euro im Monat. Zudem wird das Vermögen aufgebrauc­ht.

Schröders Vermächtni­s

Das unter Rot-Grün 2005 im Rahmen von Gerhard Schröders Agenda 2010 eingeführt­e System Hartz IV (benannt nach dem früheren VW-Personalvo­rstand Peter Hartz, der das Modell ausgearbei­tet hat) war und ist umstritten. Der positiven Entwicklun­g am deutschen Arbeitsmar­kt stehen wachsender Niedrigloh­nsektor und steigende Armutsgefä­hrdung, auch bei Kindern, gegenüber. Der Bezug von Arbeitslos­engeld wurde auf ein Jahr verkürzt, die Zumutbarke­itsbestimm­ungen sind seither viel schärfer, befristete Beschäftig­ungsverhäl­tnisse wurden erleichter­t, Zuverdiens­tmöglichke­iten ausgedehnt. (as)

 ??  ?? Hartz IV hat immer wieder zu Protesten geführt. Unter anderem sei die Kinderarmu­t seit der Einführung der Reform gestiegen, monieren Kritiker.
Hartz IV hat immer wieder zu Protesten geführt. Unter anderem sei die Kinderarmu­t seit der Einführung der Reform gestiegen, monieren Kritiker.

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