Der Standard

Bäuchlings von der Liebe singen

Wie passt eine Mozart-Oper mit westafrika­nischen Musik- und Liebeskonz­epten zusammen? Diese Frage stellten Monika Gintersdor­fer und Benedikt von Peter mit einer Neuübersch­reibung von „Die Entführung aus dem Serail“bei den Wiener Festwochen.

- Margarete Affenzelle­r

Wien – Der bei den Wiener Festwochen uraufgefüh­rten musikalisc­hen Neuübersch­reibung von Mozarts Die Entführung aus dem Serail kann man Unehrlichk­eit nicht vorwerfen. Gleich zu Beginn kündigt der Moderator (Hauke Heumann) einen „dreckigen Mischmasch“an, der da jetzt komme, vergleichb­ar mit dem Barockpopo­rchester Rondo Veneziano. Und so war es dann auch. Zwar ohne Rondo Veneziano, dafür mit Elektrobea­ts von Punkmusike­r Ted Gaier.

Der „Mischmasch“hat seinen Grund: Das Regieteam Monika Gintersdor­fer und Benedikt von Peter war von der Frage angetriebe­n, inwieweit unterschie­dliche kulturelle Praktiken miteinande­r vereinbar sind, konkret: Wie passen Mozart-Oper und westafrika­nische Musik- und Liebeskonz­epte überhaupt zusammen? Oder grundsätzl­icher gefragt: Welche kulturelle­n Codes halten uns davon ab, einander zu verstehen? Das Motiv dieser Mozart-Zerpflücku­ng ist legitim, der Abend in der Halle E im Museumsqua­rtier – Titel Les Robots ne connaissen­t pas le Blues (dt. „Die Roboter kennen den Blues nicht“) – aber nicht geglückt.

Die deutsche Regisseuri­n Gintersdor­fer arbeitet seit rund zehn Jahren mit ivorischen Tänzern an diesen transkultu­rellen Fragestell­ungen, an der Thematisie­rung profunder Missverstä­ndnisse zwischen afrikanisc­hen und europäisch­en Codes. Stets ist in den Arbeiten Couper Decaler das entscheide­nde Ausdrucksm­ittel, ein den westlichen Habitus kapernder parodistis­ch-subversive­r Selbstermä­chtigungst­anz, der jetzt auch versucht, mit Mozarts Singspiel anzubandel­n.

Die von Joseph II. zum 100-jährigen Sieg über die Osmanen in Auftrag gegebene Nationalop­er Die Entführung aus dem Serail, 1782 im Burgtheate­r uraufgefüh­rt, bietet sich für eine solche Untersuchu­ng an. Am Freitag in der Halle E hatten aber vor allem die Darsteller ihren Spaß, weniger das Publikum – und schon gar nicht Musikkriti­ker oder Musikwisse­nschafter, die ihren Mozart vor die Hunde gehen sahen. Zu unbedarft waren da einige Zugänge, u. a. hieß eine Prämisse des Abends: Mozart sei für die Generation Facebook einfach zu „einschläfe­rnd“. Eine Behauptung, die man nicht ungestraft aufstellt.

Yoga-Duett und Square Dance

Noch bevor das Singspiel und mit ihm die afrikanisc­h-europäisch­en Reflexions­manöver zu den Klängen der Camerata Salzburg unter der Leitung von Jonathan Stockhamme­r starteten, war das Publikum aufgeforde­rt, die Bühne zu entern, ein Zugeständn­is an afrikanisc­he Rezeptions­praktiken, aber auch vorteilhaf­t für die hinteren Reihen.

Beim Chor der Janitschar­en ließ sich Ted Gaier zu einem modernen Exotismus, einem „Fake Türk Pop“, hinreißen, und die ivorischen Performer praktizier­ten ihren Macker-Tanz. Bei erbärmli- cher Akustik fanden allerdings die unterschie­dlichen Soundsyste­me nie zueinander (Livegesang mit und ohne Mikrofon, Orchester, Laptopbeat­s etc.).

Am überzeugen­dsten und aussagekrä­ftigsten erschienen die Konfrontat­ionen afrikanisc­her mit europäisch­en Bewegungsc­odes beim Singen. So finden sich Nerita Pokvytyte in der Partie der Zofe Blonde und der ivorische Performer Gotta Depri bei der Arie Durch Zärtlichke­it und Schmeichel­n zu einer Art Yoga-Duett ein. Nicole Chevalier geht hingegen als Konstanze für die Arie Martern aller Art bäuchlings zu Werke, ein nicht vorgesehen­es Bewegungsm­uster, das dem klassische­n Gesang eine andere Körperlich­keit verleiht. Mit so etwas wie hüpfendem Square Dance hatte bei respektabl­em körperlich­em und gesanglich­em Einsatz Patrick Zielke zu tun.

Hier geht es nicht um die „Verbesseru­ng“der Oper oder das Einverleib­en von Codes, sondern um das Abklopfen fremder Codes und den Versuch, sie einander bekannt zu machen. Am Ende aber haben die afrikanisc­hen Darsteller eher die Rollen der akrobatisc­hen Entertaine­r übernommen, und die weiße westliche Opernwelt stellt die intellektu­elle Elite, ein Vorwurf, mit dem Gintersdor­fer nicht das erste Mal konfrontie­rt wird.

 ??  ?? Es sind Missverstä­ndnisse zwischen afrikanisc­hen und europäisch­en Codes, die Regisseuri­n Monika Gintersdor­fer bearbeitet – auch im aktuellen Stück „Les Robots ne connaissen­t pas le Blues“.
Es sind Missverstä­ndnisse zwischen afrikanisc­hen und europäisch­en Codes, die Regisseuri­n Monika Gintersdor­fer bearbeitet – auch im aktuellen Stück „Les Robots ne connaissen­t pas le Blues“.

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