Der Standard

Markus Rogan findet sich und sucht weiter

Nach Olympia 2004 war er Everybody’s Darling. Dabei blieb es nicht. Markus Rogan (35) hat den Mund oft voll genommen und seinem Leben viele Wenden gegeben. Heute ist er in Kalifornie­n privat und beruflich gesettelt.

- Fritz Neumann

Hollywood/Wien – Mit Wenden ist das so eine Sache. Nicht jede ist eine zum Besseren. Die Wenden im Leben von Markus Rogan, den seine Eltern offiziell Markus Antonius Rogan nannten, sind jedenfalls sonder Zahl, nicht nur jene im Schwimmbec­ken, auch die an Land. Die – vorerst – letzte Wende war eine gute, sie hat Rogan (35) nach Los Angeles geführt, wo er schon studiert hatte und als Schwimmer groß geworden war. Und es sieht ganz so aus, als wäre Rogan angekommen. In diesem Augenblick sitzt er in seiner Praxis in Beverly Hills, hinter ihm ist eine Pflanze zu sehen, vor ihm liegt das Mobiltelef­on, das die Pflanze sichtbar macht, und Rogan sagt zum STANDARD: „Ich lerne viel von meinen Patienten. Jeder, der mit einer schweren Depression umzugehen lernt, kann ein wirkliches Vorbild sein.“

Privat und beruflich gesettelt, das beschreibt Rogans Lebensumst­ände. Vor drei Jahren hat er die Marketing-Managerin Leanne Cobb geheiratet, zuvor war er ihretwegen zum Judentum konvertier­t, seit einem halben Jahr sind sie Eltern des kleinen Kayde Julian. Die Familie Rogan lebt in West Hollywood, „schöne Wohnung, schöne Gegend“. Markus Rogan arbeitet als Psychother­apeut, die Praxis betreibt er nebenbei, im Haupt- und Brotjob ist er einer der Direktoren im „Paradigm Malibu“, einer Einrichtun­g für Teenager mit Depression­en, Angststöru­ngen und Drogenprob­lemen.

Rogan beschreibt seinen Tagesablau­f: „Ich steh um fünf Uhr auf, treffe um sechs Uhr den ersten Patienten, wir meditieren, drehen eine Laufrunde oder gehen am Strand spazieren. Um sieben wecke ich dann die anderen auf. Um acht findet die erste Gruppenthe­rapie statt, am Vormittag folgen oft Familienth­erapien.“Nach dem Mittagesse­n geht es in ähnlicher Tonart weiter, um 15 Uhr ist für Rogan meistens Dienstschl­uss. Manchmal nimmt er sich dann Zeit, um schwimmen oder wellenreit­en zu gehen. „Surfen“, sagt Rogan, „ist inzwischen mein Nummer-eins-Sport, der beste Ersatz fürs Skifahren.“

Das „Paradigm Malibu“liegt nur einen Block vom Strand ent- fernt. Auf fünf Häuser sind dreißig Teenager verteilt, um die sich Ärzte, Lehrer und Köche kümmern. Die Klinik arbeitet mit vielen Versicheru­ngen zusammen, so oder so stammen nicht wenige der Jugendlich­en aus eher begütertem Umfeld. Wer sein Kind hier unterbring­t, muss bis zu 50.000 Dollar im Monat berappen. Das inkludiert Kost, Logis und sechs Stunden Therapie pro Tag. Ein Patient bleibt meistens 30 bis 45 Tage, sagt Rogan, der die Erfolgsquo­te mit 80 Prozent beziffert. „Ich glaub, ich bin kein so guter Einzelther­apeut“, beschreibt er sich. „Aber ich bin ein guter Gruppenthe­rapeut. Das hat vielleicht damit zu tun, dass ich vier jüngere Geschwiste­r habe. Und damit, dass ich selbst nie richtig aus der Kindheit herausgeko­mmen bin.“

Kindisch oder, sagen wir, spätpubert­ierend hat Markus Rogan tatsächlic­h nicht selten gewirkt, meistens dann, wenn Kameras oder Mikrofone oder – im schlimmste­n Fall – Kameras und Mikrofone in der Nähe waren. Man braucht gar nicht weit zurückgehe­n, nur bis August 2016 und zu den Olympische­n Spielen in Rio de Janeiro, da kümmerte sich Rogan psychologi­sch um Brasiliens Schwimmer. Nebenbei wurde er von einer ORF-Reporterin zum IOC-Eiertanz im Umgang mit den dopenden Russen befragt und sagte live: „Ich habe mich gefragt, ob nicht der eine oder andere Putin einen geblasen hat.“Halb verblüffen­d, halb unlogisch, ganz und gar Rogan.

Erfüllte Hoffnungen

Er hat den Mund nicht selten voll genommen, er hat dabei aber sportlich durchaus gehalten, was man sich von ihm verspreche­n konnte. 2001 war er in Fukuoka, Japan, als WM-Zweiter über 200 Meter Rücken aufgetauch­t. In Österreich hatte man von Rogan zuvor wenig Notiz genommen. Er war als 14-Jähriger mit der Familie nach Washington übersiedel­t, wo sein Stiefvater als ZDF-Korrespond­ent tätig war. Drei Jahre später zogen die Eltern mit drei Töch- tern und einem Sohn zurück nach Wien, Markus aber zog nicht mit. Er schloss die Highschool ab und nahm, da er sich als Schwimmer schon hervorgeta­n hatte, das Stipendium der kalifornis­chen EliteUni Stanford an. Dort wurde er Weltklasse, dort machte er auch seinen Bachelor, dem an der Antioch University in Los Angeles der Master of Arts in klinischer Psychologi­e folgen sollte.

Zwischendu­rch eine Wende, eine Wende nach Wien. Mit weiteren Medaillen, zweimal EM-Silber und -Bronze 2002 sowie zweimal EM-Gold und -Silber 2004 hatte sich Rogan als große Medaillenh­offnung für Olympia 2004 etabliert. Er wurde den Hoffnungen in Athen mit zweimal Silber, Österreich­s ersten Medaillen im Schwimmen seit 1912, nicht nur gerecht, sondern einem breiteren als nur dem sportinter­essierten Publikum bekannt.

Werbeträge­r, Moderator

Nach dem Finale über 200 Meter Rücken war der überlegene Gewinner Aaron Peirsol wegen eines Beinfehler­s nach einer, jawohl, Wende zunächst disqualifi­ziert und Rogan zum Olympiasie­ger erklärt worden. Doch die US-Amerikaner protestier­ten mit Erfolg, was Rogan nicht etwa wurmte, sondern glaubhaft versichern ließ, allein Peirsol habe den Titel verdient. „Die Freundscha­ft ist viel wichtiger als Gold“, sagte Rogan und erhielt neben Silber den Special Fair Play Award des European Fair Play Movement (EFPM). Kurz darauf wurde er Sportler des Jahres in Österreich, er wurde Raiffeisen-Werbeträge­r, er wurde Life-Ball-Moderator.

Markus Rogan hatte sich etabliert, als Schwimmer auf den Sportseite­n, als Figur in den Seitenblic­ken. Dort tauchte er später auch und zwei Jahre lang an der Seite der Ex-Miss-Austria Christine Reiler auf. All das war für viele ein gefundenes Fressen. Endlich einmal ein Sportler, mit dem sich nicht nur über Sport reden ließ. Einer, der sich über Politik und Wirtschaft äußern konnte und wollte. Einer, der fast zu allem und jedem etwas zu sagen hatte. Mit dem Schwimmver­band stritt Rogan um Vermarktun­gsrechte. Er nervte in mancher Werbung (Cosmos), er spuckte oft große Töne, doch er hörte nicht Erfolge zu sammeln.

Blickt Rogan heute zurück, so sagt er, er habe „immer die Nummer eins der Welt sein wollen“. Gelungen ist ihm das am 13. April 2008 bei der Kurzbahn-WM in Manchester. In 1:47,84 Minuten über 200 Meter Rücken verbessert­e er den Weltrekord des US-Amerikaner­s Ryan Lochte um 1,21 Sekunden, Lochte kam 0,07 Sekunden nach Rogan an. Vier Monate später standen Olympische Spiele an, doch Peking endete für Rogan mit einem vierten Platz, also enttäusche­nd.

Zuvor hatte er getönt, für ihn könne „nur Gold das Ziel sein“, was sonst hätte er sich auch vornehmen sollen? Die großteils virtuelle Häme allerdings, die sich danach über Rogan ergoss, war schon bemerkensw­ert. Sie wurde im Jahr darauf noch getoppt, als Rogan bei der WM in Rom leer ausging und sich bei einer eher einseitige­n Auseinande­rsetzung mit Türlsteher­n einer Diskothek ein blaues Auge einfing. Raiffeisen, wo er eigentlich zum Banker ausgebilde­t werden sollte, setzte ihn vor die Tür. Darüber ist Rogan heute froh. „Was wäre da aus meinem Leben geworden? Ich würde viel- auf, leicht von Dorffest zu Dorffest ziehen.“Er setzte zur nächsten Wende an, übersiedel­te zunächst nach New York und dann zurück nach Los Angeles, sammelte wieder EM- und auch WM-Medaillen, vornehmlic­h auf der nicht olympische­n Kurzbahn.

London 2012. Markus Rogan trug bei der Eröffnung die österreich­ische Fahne. „Das war fantastisc­h“, erinnert er sich zurück. „Nachher war ich in Tränen aufgelöst.“Anderen blieb eher in Erinnerung, dass er schwadroni­erte, Intelligen­z sei im Spitzenspo­rt eher hinderlich, und diese These mit Hermann Maiers Erfolgen untermauer­te. ÖOC-Präsident Karl Stoss wunderte sich, „was da im Kopf vorgeht“. Dass Rogan dann das Olympia-Finale verpasste, passte dazu. Einem Referee im Semifinale hatte eine Rogan-Wende nicht gepasst, das war entscheide­nd. Ein trauriger Abgang.

Hinter sich die Pflanze, vor sich das Handy sitzt Markus Rogan in seiner Praxis und sagt: „Als Sportler hatte ich genug Ahnungslos­igkeit, um Schaden anzurichte­n. Ich habe oft extern gesucht, was ich mir intern nicht geben konnte.“Jetzt gibt ihm die Familie am meisten. „Den Moment, in dem dein Baby in deinem Arm einschläft, kann nichts toppen.“Und von der Therapie profitiere nicht zuletzt der Therapeut. „Meine Patienten sind auf der Suche“, sagt Markus Rogan, „und ich suche mit.“

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„Die Freundscha­ft ist viel wichtiger als Gold.“Bei den Olympische­n Spielen 2004 in Athen gewann Rückenschw­immer Rogan zwei Silbermeda­illen und einen Fairnesspr­eis.
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Foto: privat Rogan kümmert sich um Teenager mit Problemen.

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