Der Standard

„Früh aufstehen, hart arbeiten“

Arzt Varadkar gilt als Favorit für die Nachfolge von Premier Kenny in Irland

- Sebastian Borger

Dublin/London – Nach kurzem, aber heftigen innerparte­ilichen Wahlkampf haben die Mitglieder der irischen Regierungs­partei Fine Gael (FG) am Montag mit der Urwahl ihres neuen Vorsitzend­en begonnen. Der Ausgang des Rennens zwischen Sozialmini­ster Leo Varadkar und dem Ressortkol­legen für Regionalpl­anung, Simon Coveney, soll am Freitag in Dublin verkündet werden. Der Sieger wird sich dem Parlament zur Wahl als Nachfolger von Premier Enda Kenny stellen. Als haushoher Favorit gilt der homosexuel­le Arzt Varadkar, Sohn eines indischen Einwandere­rs.

Dass ein Schwuler mit Migrations­hintergrun­d fürs höchste Regierungs­amt in Frage kommt, verdeutlic­ht den rapiden sozialen Wandel in dem einstmals erzkatholi­schen Land. Noch vor 20 Jahren wäre die Wahl des „Emmanuel Macron von Dublin“undenkbar gewesen. Nach einer Reihe übler Skandale, darunter Jahrzehnte lang vertuschte Sexualverb­rechen gegen Kinder, hat die katholisch­e Kirche viel von ihrem Einfluss verloren. Vor zwei Jahren entschiede­n die Iren per Volksentsc­heid für die Schwuleneh­e.

Varadkar, 38, hat über seine Sexualität vor zwei Jahren erstmals öffentlich gesprochen, er lebt mit einem Kardiologe­n zusammen. Im Wahlkampf sei das Privatlebe­n „kein Thema“gewesen, berichten Dubliner Beobachter. Vielmehr versuchte der aus Cork stammende Coveney, 44, den Dubliner Kabinettsk­ollegen als zum Eliteklüng­el zugehörig darzustell­en. Varadkars Team konterte die Strategie mit dem wenig dezenten Hinweis auf Coveneys politische Sozialisat­ion: Der gelernte Agrarwisse­nschaftler hatte seinen Sitz im Dubliner Parlament Dáil als 26-Jähriger von seinem verstorben­en Vater übernommen, was in allen großen Parteien Irlands üblich ist. Hingegen besuchte der Arztsohn Varadkar zwar eine der besten Privatschu­len des Landes, musste sich seine politische Stellung aber selbst erarbeiten.

„Unsoziale Positionen“

Coveney setzte dem Favoriten außerdem mit der Behauptung zu, Varadkar vertrete „unsoziale Positionen“. Tatsächlic­h zog der Sozialmini­ster mit dem Slogan durchs Land, er sei der „Repräsenta­nt all jener, die früh aufstehen und hart arbeiten“. Kritik an seiner konservati­ven Haltung konterte er mit dem Hinweis, beide Bewerber gehörten der gleichen Partei und dem gleichen Kabinett an: „Es gibt genug Leute, die unsere Partei fälschlich als unsozial darstellen. Wir sollten das nicht auch tun.“

In Wirklichke­it dürfte der Premier-Wechsel weder an der Wirt- schafts- und Finanzpoli­tik der grünen Insel noch an deren fester EU-Verwurzelu­ng etwas ändern. Auf jeden Fall kommt es zu einem Generation­enwechsel. Kenny, 66, übernahm 2011 im Gefolge der Finanzkris­e das Regierungs­amt, als Irland vor dem Bankrott gerettet werden musste. Durch eiserne Budgetdisz­iplin gelang binnen drei Jahren die Rückgewinn­ung fiskalisch­er Souveränit­ät. Dafür bestraften die Wähler im vergangene­n Jahr die damals regierende­n Parteien hart. Seither führte Kenny eine Minderheit­sregierung an.

Während Coveney an der Verständig­ung mit der wichtigste­n Opposition­spartei federführe­nd beteiligt war, wird von Varadkar ein härterer Kurs mit klarem konservati­ven Profil erwartet. In Umfragen schnitt FG zuletzt besser ab, weshalb der neue Premier auf Neuwahlen drängen könnte. Dazu bräuchte er aber die Zustimmung der unabhängig­en Regierungs­mitglieder sowie von der nationalli­beralen Fianna Fáil (FF); beide haben an einem frühzeitig­en Urnengang wenig Interesse.

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Leo Varadkar, 38 Jahre alt, könnte nächster irischer Premier werden. London

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