Der Standard

Sexismus: Der Bezirksrat, der die SPÖ erschütter­te

Götz Schrage, ein kleiner Bezirksrat der SPÖ in Wien-Neubau, hat mit einem sexistisch­en Posting auf Facebook für gewaltige Aufregung gesorgt. Porträt eines Mannes, der in die Unterwelt ging und sein Leben tauschte.

- Michael Völker

Wien – „Wir sind nicht die Fänger im Roggen, aber die Hüter der Frauen“, steht auf dem Buchumschl­ag des Romans Der Schwärmer, den Götz Schrage im Jahr 2004 veröffentl­ichte. Schrage beschreibt darin seinen Wechsel zu den „Männern der Nacht“, seine Zeit als Berufsspie­ler, in der er auch für Privatkasi­nos arbeitete und „sonderbare Jobs in sonderbare­n Etablissem­ents“annahm. Im Vorwort schrieb er: „Von Frauen verstehe ich definitiv am wenigsten. Keinen Fehler lasse ich aus, ich glaube, ich habe sogar neue erfunden.“

Ein solcher Fehler, explizit niedergesc­hrieben, brachte den 56Jährigen vergangene Woche in die Schlagzeil­en der heimischen Boulevardm­edien und entfesselt­e in den sozialen Medien des Internets einen Shitstorm, der gewaltig war. Der Vorwurf lautet: Sexismus.

SPÖ in Bedrängnis

Die Aufmerksam­keit, die Schrage widerfuhr, kam nicht nur für ihn selbst höchst unerwartet, sondern brachte auch die SPÖ, für die er sich seit Dezember 2015 als Lokalpolit­iker im Bezirksrat von Wien-Neubau engagiert, in arge Bedrängnis. In einem Beitrag auf Facebook hatte Schrage zur Bestellung der neuen ÖVP-Generalsek­retärin unter anderem folgende Zeilen verfasst: „Elisabeth Köstinger als neues Gesicht und neue Generalsek­retärin einer neuen Bewegung? Aus autobiogra­fischen und stadthisto­rischen Motiven möchte ich da schon anmerken, dass die jungen Damen der ÖVP Inneren Stadt aus den frühen 80er Jahren, die mit mir schliefen, weil sie mich wohl für einen talentiert­en Revolution­är hielten, genauso aussahen, genauso gekleidet waren und genauso sprachen.“

Zwei Tage stand der Text online, dann entdeckte ihn die Kronen Zeitung. Ein Sturm der Entrüstung brach los. Schrage entschuldi­gte sich und löschte das Posting. Aber die Aufregung blieb. Tausende Kommentare im Internet wurden dazu verfasst, andere Medien griffen das „SexismusPo­sting“auf, Köstinger wurde in der Krone dazu interviewt. Und Schrage wurde kollektiv angeklagt, verurteilt und gesellscha­ftlich geächtet.

Neben den vielen negativen Reaktionen rückten aber auch viele aus, um die Aufregung einzuordne­n und Schrage zu verteidige­n. Darunter waren befreundet­e Funktionär­e aus der SPÖ, aber auch Vertreter der Grünen, was diesen wiederum den Vorwurf einbrachte, Teil einer „rot-grünen Sexismus-Front“zu sein.

SPÖ-Staatssekr­etärin Muna Duzdar meldete sich zu Wort, der Kommentar sei sexistisch und nicht hinnehmbar. „Auch wenn der Kommentar inzwischen gelöscht wurde und der Funktionär sich entschuldi­gt hat, möchte ich klarstelle­n: Sexistisch­e und herabwürdi­gende Postings sind nicht akzeptabel. Egal gegen wen und egal von wem.“

Die SPÖ beschloss auf Bezirksebe­ne: Schrage müsse von seiner politische­n Funktion zurücktret­en. Am Montag um 17.30 Uhr lief das Ultimatum aus. Schrage, der der „Einladung zum Rausschmis­s“nicht nachkommen wollte, wird als Konsequenz wohl ausgeschlo­ssen werden.

Seinen Kommentar bezeichnet er selbst als „strunzdumm“, die Aufregung kann er aber nicht nachvollzi­ehen. „Wie kann man mich wegen eines Sagers so hassen?“, fragt er angesichts der Reaktionen, die er auslöste. Er sei kein Vollblutpo­litiker, Facebook habe er als sein virtuelles Wohnzimmer begriffen, „das ist ja nicht das Zentralorg­an der SPÖ“. Er sagt: „Ich hab ein volles Leben, mir macht das nicht so viel aus.“Er sagt aber auch: „Das ist schon dramatisch, was sich da abspielt.“

Der gebürtige Deutsche hat ein höchst ungewöhnli­ches Leben hinter sich. Als Mitglied der Band Blümchen Blau landete er 1981 mit dem Lied Flieger einen Hit. Die legendäre Band, in der Schrage Schlagzeug­er war, ritt auf der Neuen Deutschen Welle, löste sich nach zwei Jahren aber wieder auf. Schrage ist eigentlich Fotograf, er arbeite für die ArbeiterZe­itung und vor allem in den Anfangsjah­ren für die Zeitschrif­t Wiener, ehe er in die Werbebranc­he wechselte. Dort fotografie­rte er große Kampagnen unter anderem für Visa, Generali, Kodak oder Bauwelt. Außerdem war er gefragter Porträtfot­ograf, Niederöste­rreichs Landeshaut­mann Siegfried Ludwig (ÖVP) schwor auf ihn. Schrage verdiente richtig gut, manchmal waren es 25.000 Schilling am Tag, erinnert er sich. Aber er war extrem alleine, sagt er. Mit 32 Jahren tauchte er in die Halbwelt und das Rotlichtmi­lieu ab, verkehrte mit Prostituie­rten, Zuhältern und Gaunern, verdiente sein Geld mit Pokerspiel­en.

Dann kam der psychische Zusammenbr­uch, Schrage litt an Panikattac­ken, zog sich zurück. Zwei Jahre verließ er die Wohnung nicht, fünf Jahre nicht den Häuserbloc­k. Er machte eine Therapie und schloss wieder an das „brave Leben“von früher an. Schrage begann zu schreiben. Zur Präsentati­on seines Buches in einem Tschocherl ums Eck seiner Wohnung kamen auch die Bosse der Wiener Unterwelt, das war wie ein Echo aus vergangene­n Tagen.

In seinem Bezirk arbeitete Schrage bei der Volkshilfe mit, gründete den Lernklub, in dem Kinder aus sozial schwachen Schichten gratis Nachhilfe bekamen, die meisten waren Migrantenk­inder. Als die große Flüchtling­swelle kam, engagierte sich Schrage in der Betreuung gestrandet­er Menschen, vor allem im Kurier-Haus, das zum Flüchtling­squartier wurde. Schrage nutzte seine Netzwerke, vor allem auch über Facebook, und brachte dutzende Familien in Privatquar­tieren unter, nahm auch selbst eine Familie auf.

Postings gegen Strache

Die Partei kam auf ihn zu, er sei das „menschlich­e Antlitz der SPÖ-Neubau“, hieß es, und so wurde Schrage Bezirksrat, ein kleines Licht im politische­n Spektrum. Er legte sich über Postings mit der FPÖ und deren Chef Heinz-Christian Strache an und wurde mit Klagen eingedeckt. Seine Alltagsbeo­bachtungen, zumeist aus dem Bezirk, fasste er in kleine Geschichte­n. Politisch korrekt war er nie, wollte er nie sein.

Auch Schrages mittlerwei­le verstorben­er Vater Dieter war politisch aktiv, er war bei der SPÖ, wechselte dann zu den Grünen, war Bezirksrat im Nachbarbez­irk Mariahilf. Dieter Schrage war eine schillernd­e Figur, er war unter anderem Kulturrefe­rent bei der Zentralspa­rkasse, Kurator, Vorstandsm­itglied der Grünen Alternativ­e Wien und ergriff als Vermittler mit der Gemeinde Wien für die Hausbesetz­er und Punks in der Stadt Partei. Zuletzt war Schrage Sprecher der Grünen Senioren.

Eine derart lange politische Karriere wird seinem Sohn Götz nicht beschieden sein. Die SPÖ wird sich von ihm trennen, wenn er nicht freiwillig geht. Schrage sucht bereits wieder Wohnungen für Flüchtling­e und hofft darauf, dass es in seiner kleinen Welt in Wien-Neubau wieder ruhiger wird, dass sich ein Sommerloch auftut und ihn verschluck­t.

 ??  ?? Musiker, Fotograf, Pokerspiel­er, Autor, Flüchtling­shelfer und zuletzt auch Bezirksrat: Götz Schrage unter Sexismus-Verdacht.
Musiker, Fotograf, Pokerspiel­er, Autor, Flüchtling­shelfer und zuletzt auch Bezirksrat: Götz Schrage unter Sexismus-Verdacht.

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