Der Standard

Prozess um Frage, wann Stalking Stalking ist

41-Jähriger soll Exfreundin belästigt haben – nachweisba­r ist aber eher wenig

- Michael Möseneder

Wien – Wie oft muss man jemanden anrufen, um Telefonter­ror auszuüben? Wie oft darf man in ihrer oder seiner Nähe sein, ehe man Stalking begeht? Um diese Fragen dreht sich der Prozess gegen Werner S., dem beharrlich­e Verfolgung, wie Stalking juristisch heißt, vorgeworfe­n wird. Mindestens zwischen Ende Oktober 2016 und Mitte Jänner 2017 soll er seine Exfreundin psychisch so unter Druck gesetzt haben, dass sie psychologi­sche Betreuung brauchte.

Am 1. Juli 2006 wurde der Paragraf 107a ins Strafgeset­zbuch eingefügt. Bei der Polizei werden täglich Fälle angezeigt. Im Jahr 2015, aus dem die jüngsten verfügbare­n Daten des Innenminis­teriums stammen, waren es exakt 1980 Stück. Verurteilt werden deutlich weniger – ebenfalls 2015 gab es 119 gerichtlic­he Strafen.

Der von Richter Philipp Schnabel geführte Prozess gegen den 41-jährigen Angeklagte­n könnte einen Hinweis darauf geben, wie es zu dieser Diskrepanz kommt. Schließlic­h lässt der Gesetzeste­xt Interpreta­tionsspiel­raum offen: Stalking ist es nur, wenn über einen längeren Zeitraum „die Lebensführ­ung unzumutbar beeinträch­tigt wird.“Was unzumutbar ist, muss aber das Gericht und nicht das Opfer beurteilen.

„Wissen Sie, um was es heute geht?“, fragt Schnabel S. zu Beginn. „So grob herum.“Worauf er plädiert? „Ich sage jetzt einmal: teilweise schuldig.“Ja, er habe im fraglichen Zeitraum mit seiner Expartneri­n telefonier­t. Das seien aber normale Gespräche gewesen. Es sei um Kleidung gegangen, die noch in ihrer Wohnung war, Geburtstag­sglückwüns­che, Belanglose­s. Und ja, er habe am 31. Dezember in einer niederöste­rreichisch­en Diskothek Weihnachts­geschenke für Frau D. auf einem Tisch platziert. „Ich streite ja nicht ab, dass ich Frau D. gerne habe.“

Gegen andere Vorwürfe wehrt er sich entschiede­n, obgleich etwas unglaubwür­dig. Er sei sicher nicht fünfmal im der Wohnung seiner Exfreundin gegenüberl­iegenden Haus gewesen und habe auf ihre Fenster gestarrt. Einmal habe er in der Gegend zu tun gehabt, es sei um Reifen für einen Bekannten gegangen. „Und wie heißt der? Haben Sie seine Adresse?“, fragt der Richter. Beides kann S. nicht beantworte­n.

Sein größtes Problem: Er hat wegen der gescheiter­ten Beziehung schon eine Vorstrafe wegen Nötigung und fahrlässig­er Körperverl­etzung. Als er im Oktober vor der Tür seiner ehemaligen Lebensgefä­hrtin auftauchte, kam es zu einer Auseinande­rsetzung – vier Monate unbedingt lautet das rechtskräf­tige Urteil. Eine einstweili­ge Verfügung, die die Frau danach erwirkte, ignorierte er.

Allerdings: Anhand ihrer Aufzeichnu­ngen kann Frau D. nur ein knappes Dutzend eindeutig von S. stammende Anrufe dokumentie­ren – in zweieinhal­b Monaten. Sie habe ihm aber immer klargemach­t, dass sie keinen Kontakt wünsche, beteuert sie. Wirklich gesehen hat sie ihn aber nur in der Disko, dass er sich in ihrer Siedlung – in der auch seine Schwester wohnt – herumgetri­eben habe, weiß sie nur von Zeugen.

Da einer von diesen verhindert ist, muss Schnabel vertagen.

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