Der Standard

Was Hartz IV kann – und wer darunter leidet

Vor zwölf Jahren hat Deutschlan­d Millionen an Langzeitar­beitslosen massiv Sozialleis­tungen gekürzt. Hartz IV ist umstritten – jetzt wird die Reform in Österreich debattiert. Was kann sie?

- FRAGE & ANTWORT: Andreas Sator

Frage: Was ist Hartz IV? Antwort: Ein Teil einer groß angelegten Reform, die in Deutschlan­d zwischen 2003 und 2005 in Kraft trat. Der Name stammt von Peter Hartz, einem früheren Volkswagen-Manager. Er hat dafür eine Reformgrup­pe geleitet, die damals von der SPD und den Grünen eingesetzt wurde. Durch Hartz IV bekommen Arbeitslos­e, etwas verkürzt gesagt, nach einem Jahr ohne Job deutlich weniger Geld als zuvor. Vor der Reform hatte ein Arbeitslos­er Anspruch auf Sozialleis­tungen, die sich an seinem früheren Einkommen orientiert haben. Wer also gut verdient hatte, bekam auch nach einem Jahr ohne Job im Vergleich hohe Leistungen.

Frage: Und jetzt? Antwort: Jetzt kriegt jeder Arbeitslos­e in Deutschlan­d nach in der Regel einem Jahr nur mehr etwas mehr als 400 Euro im Monat plus Geld für Miete und Heizung. Hartz IV soll – anders als die frühere Arbeitslos­enhilfe – nicht den Lebensstan­dard halbwegs absichern, sondern für ein Leben am Existenzmi­nimum sorgen. Man darf auch fast kein Vermögen mehr besitzen – das war früher nicht so.

Frage: Warum reden wir darüber? Antwort: Am Wochenende wurde bekannt, dass der österreich­ische Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling hat prüfen lassen, wie sich so eine Reform auf Österreich auswirken würde. Dort beschwicht­ig- te man: Man habe die Studie bereits vor zwei Jahren in Auftrag gegeben und plane keine Umsetzung für Österreich. Tatsächlic­h wurde die Studie aber erst im April 2016 beauftragt, wie die Autoren dem STANDARD bestätigte­n.

Frage: Was sagt die Studie? Antwort: Es gibt verschiede­ne Szenarien, Michael Fuchs vom European Centre for Social Welfare Policy fasst sie so zusammen: Der Staat würde sich Geld sparen — im Extremszen­ario über eine Milliarde Euro —, dafür aber die Schere zwischen Arm und Reich aufgehen und die Armut steigen. Frage: Warum hat Schelling die Studie in Auftrag gegeben? Antwort: Der Finanzmini­ster hat bereits 2015 öffentlich mit dem deutschen System sympathisi­ert. In einem STANDARD- Interview sagte er damals: „In Deutschlan­d gibt es mit Hartz IV ein Modell, das offenbar besser funktionie­rt.“Dafür musste er viel Kritik einstecken. Der Wiener ÖVP-Chef Gernot Blümel, ein enger Vertrauter von Sebastian Kurz, rückte verteidige­nd aus: „Schelling hat völlig recht.“

Frage: Funktionie­rt Hartz IV? Antwort: Das kommt darauf an, woran man den Erfolg der Reform misst. Wer seinen Job verliert, nimmt seit der Umstellung in der Tat schneller wieder einen neuen an. Arbeitslos­e sind auch bereit, für weniger Geld und unter ihrer eigentlich­en berufliche­n Qualifikat­ion zu arbeiten. Für eine Volkswirts­chaft ist das gut, sagt Holger Bonin vom Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA). Wenn ein Ingenieur derzeit — obwohl so viele Ingenieure gesucht werden – keinen Job findet, solle er sich besser umorientie­ren, so der Ökonom. Der Druck dafür sei jetzt größer.

Frage: Also ist Hartz IV eine nachahmens­werte Erfolgsges­chichte? Die Reform wollte eigentlich erreichen, dass Langzeitar­beitslose zurück in den Arbeitsmar­kt kommen. Daran ist sie gescheiter­t. In Deutschlan­d gibt es deutlich mehr Menschen, die über Jahre keinen Job finden, als in Österreich. Und das, obwohl die Sozialleis­tungen hierzuland­e höher sind. Teil der Hartz-Reformen war es auch, dass für viele Arbeitslos­e die Kurse zurückgesc­hraubt wurden. Es bleiben seit der Reform viele kürzer in der Arbeitslos­igkeit. Sind sie aber einmal länger ohne Job, schaffen sie es kaum mehr zurück, obwohl der Druck auf sie im deutschen System enorm ist.

Frage: Aber immerhin ist die Arbeitslos­igkeit stark gesunken. Antwort: Das stimmt zwar, hat aber den meisten Fachleuten zufolge relativ wenig mit Hartz IV zu tun. Deutschlan­d hat sich zur gleichen Zeit auch in vielen anderen Bereichen reformiert, die Löhne wurden schon Jahre zuvor kaum mehr erhöht und Unternehme­n haben sich auf Märkte wie China spezialisi­ert, was sich als ein mehr als glückliche­r Handgriff entpuppte. Außerdem sinkt die Zahl der Leute, die arbeiten wollen, weil es weniger Junge und Zuwanderer und mehr Alte gibt als in Österreich.

Frage: Wie könnte Hartz IV in Österreich aussehen? Antwort: Die Notstandsh­ilfe könnte abgeschaff­t werden. Wer länger arbeitslos ist, erhält mit ihr derzeit circa die Hälfte seines letzten Einkommens. Er würde in die Mindestsic­herung fallen, sie beträgt in den meisten Bundesländ­ern 840 Euro und kann – anders als die Notstandsh­ilfe – erst bezogen werden, wenn das Vermögen fast zur Gänze aufgebrauc­ht ist. Wer Eltern mit einer Pension oder Kinder, die schon arbeiten, im Haushalt hat, bekommt auch weniger oder gar nichts. Welchen Effekt das auf die Arbeitslos­igkeit hätte, war nicht Teil des Forschungs­auftrags des Ministeriu­ms.

 ??  ?? Wer in Deutschlan­d längere Zeit keine Arbeit findet, nimmt seit der Hartz-IV-Reform häufiger schlecht bezahlte Jobs an. Denn die Leistung ist niedrig, bevor man sie kriegt, wird auf Vermögen zugegriffe­n.
Wer in Deutschlan­d längere Zeit keine Arbeit findet, nimmt seit der Hartz-IV-Reform häufiger schlecht bezahlte Jobs an. Denn die Leistung ist niedrig, bevor man sie kriegt, wird auf Vermögen zugegriffe­n.

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