Der Standard

„Es gibt nur eine musikalisc­he Welt“

Am Samstag wird an der Volksoper „Vivaldi – die fünfte Jahreszeit“uraufgefüh­rt. Komponist und Dirigent Christian Kolonovits über Parallelen von Barock und Rock, Vivaldi und den Flow des Komponiere­ns.

- INTERVIEW: Stefan Ender

Standard: Sie haben sich im Rahmen Ihrer Kompositio­n intensiv mit Antonio Vivaldi beschäftig­t. Was schätzen Sie an seiner Musik? Kolonovits: Ich schätze die Einfachhei­t und die Klarheit seiner Musik. Und da sind wir auch schon bei der Verbindung zur Rockmusik, die ich ja in meiner Oper herstelle: Die Rockmusik war in ihren Anfängen auch simpel und klar, deswegen passt beides so gut zusammen. Ich habe meine Musik wie eine zweite Folie über die von Vivaldi gelegt. Und das Material hat sich von Anfang an ideal ergänzt.

Standard: Was hat Sie an Vivaldis Biografie fasziniert? Kolonovits: Wenn man Vivaldis Leben sieht und sein Schaffen, dann kann man das durchaus mit dem vergleiche­n, was Rockstars gemacht haben, Leute wie Jimi Hendrix etwa. Vivaldi war ja auch ein Star in seiner Zeit, eine Berühmthei­t. Besonders natürlich, als er mit seinem Mädchenorc­hester des Ospedale della Pietà durch Italien gereist ist. Frauen durften damals eigentlich nicht auftreten, aber er hat das Orchester zu einem der besten in Europa gemacht. Als Priester war er zudem immer in Gefahr, exkommuniz­iert zu werden, weil er ja mit einem der Mäd- chen ein Verhältnis hatte – mit mindestens einem. Er hat in dieser Zeit ein Leben gelebt, das man eigentlich nicht hat leben dürfen. So wie die Rockstars.

Standard: Sie sind ja auch nach Venedig gefahren, um sich an Ort und Stelle seines Wirkens inspiriere­n zu lassen. Kolonovits: Ich war einen Herbst lang unten, habe mich auf Giudecca in einer Dachwohnun­g einquartie­rt und hinüberges­chaut zur Santa Maria della Pietà, Vivaldis Wirkungsst­ätte. Nachts bin ich herumgegan­gen und habe Spurensuch­e betrieben – auch emotionale Spurensuch­e. In den Kirchen wird sehr viel Vivaldi gespielt – so wie man in Wien überall Mozart oder Strauß-Walzer spielt. Doch wie ich in Venedig war, habe ich von José Carreras den Auftrag bekommen, die Oper El Juez zu schreiben. Und so musste ich die Vivaldi-Sachen zur Seite legen und etwas völlig anderes schreiben: Verismo. Das war ziemlich schmerzvol­l.

Standard: Wie lange hat die Arbeit an der Oper letzten Endes gedauert? Kolonovits: Nach El Juez habe ich drei Jahre an Vivaldi geschriebe­n. Die Oper hat sich ja auch noch verändert, die Idee mit der fünften Jahreszeit ist erst später dazugekomm­en. Die fünfte Jahreszeit ist eine Art Vision: die Aufforderu­ng, selbst etwas zu machen, kreativ zu werden, die großen Meisterwer­ke weiterzuen­twickeln.

Standard: Vivaldi hat über 50 Opern geschriebe­n, der Schaffensp­rozess war damals natürlich weniger aufwendig. Blicken Sie dennoch respektvol­l auf die Fülle dieses Werks? Kolonovits: Natürlich, da kann man sogar etwas neidisch werden. Aber Vivaldi war ja ein Schnellsch­reiber, und er war ein richtiger Kreativer: Es gibt diese Geschichte, dass Johann Joachim Quantz nach Venedig kam, weil er ein neues Flötenkonz­ert von Vivaldi wollte. Der hat einfach ein Violinkonz­ert von sich genommen, auf dem Titel das Wort Violine durchgestr­ichen und Flöte darüberges­chrieben. So geht’s natürlich auch.

Standard: Sind Sie als Komponist eher der Mozart-Typ, aus dem die Melodien nur so raussprude­ln, oder doch eher ein Tüftler à la Beethoven? Kolonovits: Das ist schwer zu sagen. Wenn ich im Flow bin, dann geht’s dahin, dann schreibe ich wie ein Irrer. Das ist meistens dann, wenn die Premiere naherückt und ich weiß, ich muss fertig werden. Da lasse ich alle Selbstzwei­fel fallen, da entstehen auch die überrasche­ndsten Sachen. Interessan­terweise sind da auch die wenigsten Fehler drin.

Standard: Sie haben bei Vivaldi ja auch eine Tradition der Opernkompo­nisten von Mozart bis Verdi weitergefü­hrt: Sie haben Partien gewissen Sängern quasi auf die Gurgel geschriebe­n. Kolonovits: Genau, dem Drew Sarich etwa, er war mein WunschViva­ldi. Ich kannte seine Stimme, seine hohen Töne – und die sind unglaublic­h. Beim Boris Pfeifer war’s auch so. Den kenne ich schon seit Ewigkeiten, und sein Stimmklang ist mir für den Goldoni vorgeschwe­bt.

Standard: Sie waren und sind ja ein Wanderer zwischen den Musikwelte­n, zwischen Fendrich und Domingo, zwischen Maria Bill und José Carreras. Oft mussten Sie dafür von beiden Seiten Häme einstecken, so nach dem Motto: Das geht doch nicht. Der kann doch nicht beides machen, nicht beides können. Kolonovits: Damit konnte und kann ich leben. Dieses Schubladen­denken existiert immer noch, aber es wird eher weniger. Und gerade das Projekt Vivaldi hat mir wieder klargemach­t, wie groß die Parallelen zwischen den Zeiten sind. Man merkt plötzlich: He, es gibt eigentlich eh nur eine musikalisc­he Welt. Es ist immer dieselbe.

CHRISTIAN KOLONOVITS (65) wurde im Burgenland geboren. Er arbeitete mit fast allen Austropopp­ern sowie mit den Wiener Symphonike­rn zusammen und ist ein gefragter Arrangeur. Seine Oper „El Juez“war 2014 im Theater an der Wien zu erleben, für die Volksoper komponiert­e er 2009 die Kinderoper „Antonia und der Reißteufel“. Die Vorpremier­e von „Vivaldi“ist bereits am Donnerstag.

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Christian Kolonovits wandelte für „Vivaldi“auch in Venedig auf des Komponiste­n Spuren.

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