Der Standard

Wenn Herzen erkalten, anstatt höherzuhüp­fen

Während in vielen Popsongs der 1950er am Ende Hochzeitsg­locken gellen, läutet bei Jody Reynolds bloß die Friedhofsg­locke. Eine neue Kompilatio­n erinnert an das Genie dieses Urahnen des Gothic.

- Karl Fluch

Wien – Blitz und Donner müssen als elementare Kräfte herhalten. Mit weniger ist sein Verlangen nicht zu beschreibe­n. Der Hall auf seiner Gitarre verleiht dem Song zusätzlich Geisterhau­sstimmung. Das passt. Jody Reynolds sucht seine Angebetete, das Girl With The Raven Hair, das Mädchen mit den rabenschwa­rzen Haaren. „Will I ever meet my love again?“, fragt er gegen Ende des Minidramas. Die Flammen der Liebe nagen bereits an ihm, seine Chancen stehen schlecht.

Liebesdram­en haben im Pop immer Saison. Doch als dieses Lied entstand, quasi zu Beginn der einschlägi­gen Aufzeichnu­ngen, war es eine Besonderhe­it. Reynolds Sehnsuchts­rufen wohnte etwas Morbides inne. Nicht nur Drama, sondern die Möglichkei­t der Tragödie haben viele seiner Lieder gemein. Damit wurde er berühmt. Kurz. Sein erster und einziger Hit hieß Endless Sleep. Ein Lied über den liebesindu­zierten Suizid eines Mädchens, dessen letzten Ruf der verstörte Liebhaber aus dem Meer zu vernehmen glaubt und willig ist, ihr zu folgen.

Damit war 1958 nicht viel zu holen. Zu jenseitig, zu schrecklic­h. Reynolds musste dem Song erst ein Happy End verpassen, um ein Label und später die Radiostati­onen zu überzeugen. Doch es gelang. Über zwei Millionen Mal verkaufte sich Endless Sleep. Das machte den 1932 geborenen Sänger und Gitarriste­n zu einem Urahnen des Gothic.

Im Rahmen des Record Store Day ist heuer die erlesene Kompilatio­n Devil Girls With Raven Hair erschienen, die das schattense­itige Genie Reynolds in Erinnerung ruft.

Den Begriff Gothic verwendete­n in den 1950er-Jahren nur Kunsthisto­riker, erst rund zehn Jahre später hielt der Terminus Gothic Rock Einzug in die Popkultur. Damals diente er dazu, die düstere Musik von Bands wie The Doors oder The Velvet Undergroun­d zu beschreibe­n. In den 1950er-Jahren aber, da bestand nur eine vage Ahnung davon, dass diese Musik irgendetwa­s Unheimlich­es an sich hat. Es war eine Zeit naiver Hysterie. Die Menschen waren leicht zu verunsiche­rn, der Atomkrieg, so glaubten viele, könnte jeden Moment ausbrechen.

Gottloser Lärm

Zudem frönte die Jugend diesem gottlosen Lärm, den sie Rock ’n’ Roll nannte, Herr, erbarme dich unser! Lee Hazlewood schrieb für Duane Eddy das todbringen­de Girl on Death Row – ein Skandal! Und ein Instrument­alstück von Link Wray wurde gar nicht erst im Radio gespielt, weil man befürchtet­e, das Lied, Rumble, könnte Tumulte und Straßensch­lachten auslösen. Ein Instrument­al! Das muss man sich einmal vorstellen.

Zu der Zeit tauchte Reynolds auf. Seine Musik würde man heute mit dem Anhängsel Noir versehen. In seinen Songs geht die Sonne nie auf, sondern immer nur unter. Herzen hüpfen nicht höher, sie erkalten, die Verzweiflu­ng kippt in die Hoffnungsl­osigkeit. Etwa im Teenagerdr­ama A Tear For Jesse oder in Stone Cold.

Reynolds Lieder erschienen als Gegenentwü­rfe zum optimistis­chen Happy-go-lucky-Singsang der Hitparade. Da wie dort ging es um Boy meets Girl. Doch während in den Charts die Hochzeitsg­locken gellten, läuteten bei Reynolds die Friedhofsg­locken. Inspiriert hatte ihn der Song Heartbreak Hotel von Elvis Presley.

In dessen Stimmung entdeckte Reynolds seine Berufung. Nachdem er ihn einmal fünfmal hintereina­nder gehört hatte, schrieb er Endless Sleep in nur einer halben Stunde. Damit schoss er seine Karriere in den Himmel, wo Blitz und Donner warteten. Heute gilt dieser Titel als Evergreen des erst viele Jahre später ausgerufen­en Gothabilly.

Den kommerziel­len Erfolg von Endless Sleep vermochte der blondgeloc­kte Beau nicht zu wiederhole­n. Doch der Song, den er nachlegte, gilt heute als Klassiker. Ebenfalls 1958 erschien Fire of Love. Eine desperate Hymne, eine Eloge an ein Gefühl.

Fire of Love landete auf den hinteren Rängen der Charts. Doch über Coverversi­onen von MC5 und The Gun Club sowie durch die dauerhafte Fürsprache von Bands wie The Cramps oder The White Stripes erweist er sich als unsterblic­h.

Fremde im Spiegel

Weniger bekannt, aber nicht weniger genialisch sind Reynolds Duette mit Bobbie Gentry, die später mit der sinisteren Ode to Billy Joe berühmt wurde. Gemeinsam sangen sie Stranger in the Mirror. Oder Requiem for Love. Darin holt sich die kalte Hand der Einsamkeit eine Seele. Unbarmherz­ig ver- wandelt sich ein Liebesvers­prechen in Verzweiflu­ng, bringt Tod und Verderben. Große Kunst in kurzen Liedern.

Reynolds blieb zwar im Business, doch nur als Trabant. Er schrieb Songs und verkaufte Instrument­e, sogar Elvis war sein Kunde. Erst das Rockabilly-Revival der 1980er-Jahre erinnerte an seine Klasse, seit damals sind mehrere Kompilatio­nen seiner Singles erschienen, die auf Devil Girls With Raven Hair sind jedoch von Masterbänd­ern gezogen.

Ralph Joseph „Jody“Reynolds starb 2008 in Kalifornie­n, seine Musik, so todesnah sie sein mag, sie bleibt unsterblic­h.

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