Verfangen in moralischen Zwickmühlen
Die Goldene Palme von Cannes ging an den Schweden Ruben Östlund für seine clevere Satire „The Square“
Ein Regisseur im Freudentaumel forderte am Sonntagabend das Publikum im Grand Théâtre Lumière zu einem kollektiven „Urschrei vor Glück“auf. Ganz ohne skandinavische Zurückhaltung feierte der Schwede Ruben Östlund den Erfolg seiner Gesellschaftssatire The Square, die die Goldene Palme gewann. Schon vor zwei Jahren hatte er mit seiner klugen Familienintrospektion Höhere Gewalt die Sektion Un Certain Regard für sich entscheiden können, nun steht er neben Regiegrößen wie Francis Ford Coppola, Akira Kurosawa oder Michael Haneke.
Die Jury unter Pedro Almodóvar hat sich damit für einen der wagemutigsten Filme im Wettbewerb entschieden. Östlunds Film hat mit dem von Claes Bang verkörperten Museumsdirektor zwar eine Hauptfigur, die so etwas wie den Prototyp eines liberalen Europäers verkörpert, der sich in moralische Zwickmühlen begibt. In geometrisch kadrierten Bildern erweitert Östlund den Film aber auch zu einer Momentaufnahme einer Gesellschaft, die sich zwischen Toleranz und Eigennutz in Widersprüchen verfängt. Die rund zweieinhalb Stunden dauernde Arbeit veranschaulicht dies in Situationen von beträchtlichem Witz.
Der Große Preis der Jury ging an Robin Campillos 120 battements par minute, der vor allem von der französischen Kritik favorisiert wurde. Campillo erzählt von AidsAktivisten in den 1990er-Jahren, die erfolgreich für eine Bewusstmachung der Krankheit und bessere Behandlungsmethoden eintraten. Aus dem Kollektiv der Figuren tritt im zweiten Teil ein Liebespaar hervor, von dem dann ein Teil der Krankheit erliegt.
Die Britin Lynne Ramsay erhielt für den letzten Wettbewerbsfilm im Programm, You Were Never Really Here, gleich zwei Preise. Gemeinsam mit Yorgos Lanthimos und seinem Stammautor Efthimis Filippou (The Killing of a Sacred Deer) teilte sie sich jenen für das beste Drehbuch. Ihr Hauptdarsteller Joaquin Phoenix wurde als bester Darsteller gewürdigt. You Were Never Really Here ist ein Film über einen Auftragskiller namens Joe, der die entführte Teenagertochter eines US-Senators befreien soll. Allerdings umgeht Ramsay mit ihrer elliptischen Erzählweise so gut wie alle Konventionen des Genres und schält sich dafür ins Unbewusste ihres Helden, eines Kriegsveteranen.
Sofia Coppola wurde für ihr Remake von The Beguiled, einem Don-Siegel-Film von 1971, als beste Regisseurin ausgezeichnet. Als beste Hauptdarstellerin geehrt wurde die Deutsche Diane Kruger, die nach vielen internationalen Rollen für Fatih Akins insgesamt unebenes Terrordrama Aus dem Nichts nun wieder in ihrer Heimat drehte. Der Preis der Jury ging an den Russen Andrej Swjaginzew für sein Ehedrama Loveless, einen der tristesten Gegenwartsbefunde in Cannes, der auch lange zu den Favoriten gezählt hat.