Der Standard

Der Blumenstra­uß, der Android und die Köpferln im Sand

Die Kunsthalle Wien will uns helfen, neue Wege zum gelungenen sozialen Miteinande­r zu finden: „How To Live Together“

- Roman Gerold

Wien – How To Live Together: Der Titel der aktuellen Themenauss­tellung der Kunsthalle Wien klingt nach Youtube-Anleitungs­video, er ist aber auch die englische Übersetzun­g des Titels eines Buchs von Roland Barthes. Die im entspreche­nden Band dargelegte Auffassung des Philosophe­n: Um erfolgreic­h zusammenzu­leben, müssen wir die Lebensrhyt­hmen der jeweils anderen anerkennen.

Nun ist jedenfalls die „Entschleun­igung“auch für Kunsthalle-Direktor Nicolaus Schafhause­n ein wesentlich­er Aspekt der von ihm kuratierte­n Ausstellun­g. Mit derselben will er uns in einer Zeit des Umbruchs – angesichts des Rechtsruck­s allerorten und eines wachsenden Vertrauens­verlusts in die Politik – helfen, neue Wege des Miteinande­rs zu finden. Zu neuen Blicken auf die Anderen, aber auch uns selbst sollen wir etwa gelangen.

Rund 30 Positionen sind versammelt, die einen weiten Bogen spannen. Bewundert man zunächst einen recht optimistis­chen, kunterbunt­en Blumenstra­uß von Willem de Rooij, so wird man später gar einem Androiden begegnen, der beim Reflektier­en über das Menschsein u. a. Friedrich Nietzsche nebst Judith Butler zitiert. Daneben wird man in ein breites Spektrum kulturelle­r und politische­r Sphären eingelasse­n, befasst sich mit Migration ebenso wie mit dem Einfluss der Architektu­r auf unser Leben.

Ein Leitmotiv der Schau ist die Mikroskopi­erung, der genaue Blick auf soziale Gefüge. So etwa in einer Arbeit Paul Grahams, der in den frühen 1980er-Jahren in herunterge­kommenen britischen Sozialämte­rn Wartende ablichtete. Die Tristesse dieser vom öffentlich­en Interesse kaum gestreifte­n Räumlichke­iten macht er durch mächtige Bildtafeln spürbar. Einen ähnlichen Blick an die Rän- der der Gesellscha­ft unternimmt auch Mohamed Bourouissa: Er zeigt Szenen von Straßenkäm­pfen in den Pariser Vororten. Im Gegensatz zu Grahams Schnappsch­üssen sind seine aufgeregte­n Szenen jedoch teils inszeniert.

Die Ambivalenz zwischen Schnappsch­uss und Inszenieru­ng prägt auch die Bilder Tina Barneys, die sich mit Fragen der Repräsenta­tion in der Oberschich­t befasst. Ab den 1970ern fotografie­rte sie Bessergest­ellte in Ameri- ka, später auch in Europa, in deren Residenzen. Den Porträtier­ten gestattete sie dabei über die Jahre immer mehr, sich selbst zu inszeniere­n. Das Ergebnis erinnert ein wenig an die Bildwelt von Regisseur Ulrich Seidl.

Fernab edler Wohnzimmer führt die gegenüberg­estellte, wunderschö­ne Fotoserie Riga Circus von Ieva Epnere. Die lettische Künstlerin lässt einfühlsam hinter die Kulissen eines Zirkus blicken. Es geht in jenen „Backstageb­e- reich“, wo sich die Artisten – teils wohl wiederum „Außenseite­r“– darauf vorbereite­n, eine verzaubert­e Gegenwelt zu inszeniere­n.

Ein soziales Gefüge im Bewegtbild bestaunt man im Video Cambeck des in Angola geborenen Künstlers Binelde Hyrcan: Kinder haben sich im Sand Mulden gegraben, um nun „Autofahren“zu spielen. Scheinbar bis zum Hals im Sand steckend, verhandeln sie dabei spielerisc­h soziale Differenze­n. „Wenn ich erwachsen bin, werde ich ein größeres Auto haben als du“, sagt da etwa einer.

„Mein Name ist Ausländer“

Ein wichtiger Beitrag, den die Kunst zur erneuerten Demokratie leisten könne, sei die Hinterfrag­ung medialer Bilder, so Schafhause­n. Wesentlich ist diese etwa in einer Fotoserie von Herlinde Koelbl, die Angela Merkel zwischen 1996 und 2006 immer wieder abseits ihrer politische­n Funktionen porträtier­te; aber auch bei Cana-Bilir Meier, die sich mit ihrer eigenen Biografie auseinande­rsetzt. Sie nähert sich der türkischen Autorin und Aktivistin Semra Ertan – ihrer Tante. Anfang der 1970er nach Deutschlan­d gekommen, verbrannte sich Ertan 1982 öffentlich, um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. BilirMeier kontrastie­rt Bilder aus den Massenmedi­en mit persönlich­en Dokumenten und Gedichten Ertans. Mein Name ist Ausländer heißt eines davon. Bis 15. 10.

 ?? Foto: Courtesy die Künstlerin und Paul Kasmin Gallery ?? Tina Barney nimmt die Oberschich­t bzw. deren Selbstinsz­enierung in den Blick. Bild: „The Antlers“(dt. „Das Geweih“, 2001) aus der Serie „The Europeans“.
Foto: Courtesy die Künstlerin und Paul Kasmin Gallery Tina Barney nimmt die Oberschich­t bzw. deren Selbstinsz­enierung in den Blick. Bild: „The Antlers“(dt. „Das Geweih“, 2001) aus der Serie „The Europeans“.

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