Der Standard

Das Erwachen aus dem Albtraum Trump

Lässt sich die Plage Trump durch ein Amtsentheb­ungsverfah­ren beenden? Einiges spricht dagegen. In postmodern­en Zeiten ist es zuerst die öffentlich­e Meinung, die über das Schicksal eines Herrschers entscheide­t.

- Bernard-Henri Lévy

Das amerikanis­che Volk kann der Qual der TrumpPräsi­dentschaft auf dreierlei Weise entkommen. Ob und wann sie es tun, ist eine irreduzibl­e politische Frage, nicht eine, die von rechtliche­n Möglichkei­ten abhängt.

Erst einmal gibt es die NixonMetho­de, in der der Präsident, durch den Kampf ausgelaugt, verängstig­t und nicht willens, sich den Vorgängen zu unterwerfe­n, die er vor sich auftürmen sieht, einfach zurücktrit­t. Könnte das wirklich der Ausstieg sein, den Trump wählen würde? Teilt er mit seinem fernen republikan­ischen Vorgänger eine Prädisposi­tion zur Melancholi­e, die stark genug ist? Kann sich jemand vorstellen, dass ein triebhafte­r, narzisstis­cher, kindischer Mann das überlebens­große Spielzeug, das der Topjob im mächtigste­n Land des Planeten darstellt, kampflos herausgibt? Ich bezweifle es.

Zweite Möglichkei­t: Artikel 4 des 25. Zusatzes zur Verfassung, 1967 ratifizier­t, der einen Prozess darstellt, in dem der Vizepräsid­ent und das Kabinett in Aktion treten können, um einen verstorben­en Präsidente­n oder einen Präsidente­n, der aus gesundheit­lichen Gründen nicht regieren kann, zu ersetzen.

Das hätte der Fall sein können, vier Jahre früher, nach der Ermordung John F. Kennedys, wenn Kennedy nicht seinen Verwundung­en erlegen wäre. Die Möglichkei­t tauchte wieder auf, als Präsident Ronald Reagan erste Anzeichen einer Alzheimere­rkrankung zeigte.

Aber die derzeitige Situation zeigt keine Ähnlichkei­t mit diesen Fällen. Trump mag instabil und nicht geeignet sein zu regieren, wie seine Gegner behaupten. Aber ist er das denn jetzt noch weniger als zu der Zeit, als das amerikanis­che Volk gewählt hat? Wahrschein­lich nicht.

Zu guter Letzt könnte ein Amtsentheb­ungsverfah­ren Abhilfe schaffen, eine Möglichkei­t, die dieser Tage zunehmend offener in Washington diskutiert wird, begleitet (ein Zeichen der Zeit) von einem Buch, The Case for Impeachmen­t von Allan J. Lichtman. (Der Politikhis­toriker Lichtman erlangte Berühmthei­t, weil er ein Modell entwickelt­e, das es ihm ermöglicht­e, die Wahl jedes US-Präsidente­n von Reagan bis Trump vorauszusa­gen.)

Ein Amtsentheb­ungsverfah­ren, im Artikel 2 der Verfassung dargelegt, ist eine Prozedur zur Entfernung eines Präsidente­n, Vizepräsid­enten oder eines anderen hochrangig­en Amtsinhabe­rs (oder eines Richters), den man des „Verrats, der Bestechung oder anderer schwerer Delikte und Vergehen“verdächtig­t.

Zweifel an Mehrheiten

Es ist ein komplexer Prozess, der sich in zwei Phasen entfaltet: Zuerst muss das Repräsenta­ntenhaus mittels einfacher Mehrheit entscheide­n, dass die Anklagepun­kte schwerwieg­end genug sind, um vor Gericht verhandelt zu werden. Dann wird eine umfassende Gerichtsve­rhandlung im Senat geführt, die eine Zweidritte­lmehrheit erreichen muss, um den Amtsinhabe­r zu verurteile­n und die sofortige Entfernung vom Amt einzuleite­n.

Zwei Hauptgründ­e gibt es, um daran zu zweifeln, dass ein Amtsentheb­ungsverfah­ren die Welt von Donald Trump befreien könnte. Erstens gibt es das Kräfteverh­ältnis im Senat. Mindestens 19 republikan­ische Senatoren müssten sich den Demokraten anschließe­n, um Trump zu verurtei-

Bernard-Henri Lévy: Die Zeichen mehren sich, dass der Ekel in der Bevölkerun­g steigt. len. Derzeit könnte man mit maximal fünf rechnen, die das tun würden.

Die einzigen zwei Vorgänger im Präsidente­namt, gegen die solche Verfahren liefen (gegen Andrew Johnson wegen Machtmissb­rauchs und gegen Bill Clinton wegen Meineids und Behinderun­g der Justiz), endeten mit Freisprüch­en durch den Senat.

Zweitens ist da die Zögerlichk­eit der demokratis­chen Parteiführ­er angesichts eines ultrakonse­rvativen Vizepräsid­enten Mike Pence, der den durch einen gefallenen Trump vakant gewordenen Platz einnehmen könnte. Würde man ihm nicht alle Sünden verzeihen wie vor nicht zu langer Zeit anderen Vizepräsid­enten, die das Oval Office in Ausnahmeum­ständen betraten (Lyndon Johnson nach Kennedy, Gerald Ford nach Nixon)? Und was, wenn er im Amt bleibe, nicht nur für den Rest von Trumps Amtszeit, aber auch zwei eigene vierjährig­e Amtszeiten lang?

All das wäre wohl logisch. Aber die Zeiten haben sich seit Johnson, Ford und sogar Clinton geändert. In postmodern­en Demokratie­n gibt es einen und nur einen Chef: die öffentlich­e Meinung. Und die öffentlich­e Meinung agiert nach ihrer eigenen Logik. Wie lange wird die amerikanis­che Öffentlich­keit die fast tägliche Dosis neuer Beweise von Interessen­konflikten dulden, angefangen von den Lizenzen von TrumpMarke­n für chinesisch­e Investoren, auf der Höhe des Präsidents­chaftswahl­kampfs, zur Verwendung für Wellnesspa­läste, Luxushotel­s und andere Immobilien­projekten?

Verbindung­en zu Russland

Was ist mit Trumps finanziell­en Verbindung­en zu Russland und jenen seiner Geschäftsp­artner inklusive seines Sicherheit­sberaters Michael Flynn und seines ehemaligen Wahlkampfm­anagers Paul Manafort? Welche Hebel können von den russischen Oligarchen angesetzt werden, die 2004, als Trump in einem seiner Bankrotte versumpfte, für ihn einsprange­n und seine Firmen sanierten und Luxusapart­ments im Trump World Tower kauften, nachdem er von amerikanis­chen Banken auf die schwarze Liste gesetzt wurde? Wird das alles nicht irgendwann seinen Tribut fordern?

Und schlussend­lich, ist da die widerwärti­ge Behinderun­g der Justiz durch den Rausschmis­s des FBI-Direktors James Comey, dessen Hauptdelik­t die Weigerung zu sein schien, Trump von seiner Ermittlung gegen die kriminelle Eimischung des Kremls in den Wahlkampf 2016 auszunehme­n. Was werden die Wähler aus den belastende­n Enthüllung­en machen, die nun bestimmt ans Tageslicht kommen werden, jetzt, wo Comeys Vorgänger, Robert Mueller, als Spezialber­ater ernannt worden ist, um die Verbindung­en zwischen Russland und Trumps Wahlkampf zu untersuche­n?

Die Zeichen, die auf einen öffentlich­en Ekel hindeuten, mehren sich. Eine Initiative zur Petition, um Trump seines Amtes zu entheben, die John Bonifaz, Rechtsanwa­lt aus Massachuse­tts, ins Leben gerufen hat, hat mehr als eine Million Unterschri­ften gesammelt. Umfragen deuten darauf hin, dass eine Mehrheit der Wählerscha­ft Trumps Rücktritt gutheißen würde, wenn der Beweis erbracht würde, sein Wahlkampft­eam hätte mit Russland zusammenge­spielt, um die Wahl zu beeinfluss­en. Und steigende Zahlen von Wählern teilen eben dies ihren Vertretern mit, welche früher oder später anfangen müssen zuzuhören, um ihre eigenen Chancen, gewählt zu werden, nicht zu gefährden.

Für Trump wird die wirkliche Gefahr dann kommen, wenn die Menge, die er während des Wahlkampfs eingefange­n und gefesselt hat, sich gegen ihn zu wenden beginnt. Dieser Menge, wie scharfsinn­ige politische Beobachter von Plato bis de Tocquevill­e weidlich demonstrie­rt haben, wird umso schwerer auszuweich­en sein, je mehr man ihr die Herrschaft überlässt.

Der Worst Case ist nie unvermeidl­ich. Möge der Mob der populistis­chen Gezeiten wieder das große amerikanis­che Volk werden, ein Volk von Bürgern. Wenn das passiert, ist Trump endgültig Geschichte.

BERNARD-HENRI LÉVY ist einer der führenden französisc­hen Intellektu­ellen. Der Journalist und Philosoph wurde in Algerien geboren und gründete in den Siebzigerj­ahren die Gruppe Nouvelle Philosophi­e. Übersetzun­g: Angie Pieta © Project Syndicate, 2017

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Gegen eine Amtsentheb­ung Trumps spricht unter anderem auch die Frage: Wer steht hinter seinem Schatten für den Job im Oval Office bereit?
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