Der Standard

Eine Abrechnung, die in den Aufbruch münden soll

- Gerald John

In schnellleb­iger Zeit drohen politische Analysen rasch von der Realität überholt zu werden, in diesem Fall jedoch ist es umgekehrt: Thomas Nowotnys Buch wird immer aktueller. Zuletzt war es die SPD, die mit ihren Wahlschlap­pen den Befunden des Autors über den scheinbar unaufhalts­amen Abstieg der Sozialdemo­kratie frische Brisanz verlieh.

Die demokratis­che Linke habe ihre Rolle als „Motor“, der positive Veränderun­g in der Gesellscha­ft antreibt, verspielt, konstatier­t Nowotny: so weit, so erwartbar vonseiten eines Mannes, der die Sozialdemo­kratie als Sekretär von Kanzler Bruno Kreisky in den goldenen Zeiten erlebt hat. Doch von einer Früher-war-alles-besser-Suada ist das Buch des Politologe­n und Exdiplomat­en weit entfernt. Nowotny beschränkt sich nicht auf die Diagnose, sondern skizziert grundoptim­istisch Wege aus der Misere, ohne dabei die Auseinande­rsetzung mit Sachfragen zu scheuen – manch Überraschu­ngseffekt inklusive. Dass ein Erbe der Kreisky-Jahre, als der „freie Hochschulz­ugang“zum Glaubensbe­kenntnis gehörte, für Studiengeb­ühren plädiert, ist ebenso wenig aufgelegt wie der Ruf nach einem höheren gesetzlich­en Pensionsal­ter.

Auch in der Analyse bemüht sich Nowotny um Faktenreic­htum, doch da birgt die Darstellun­g Schwächen. Dass die Sozialdemo­kratie in den 90ern auf dem „Dritten Weg“in die „politische Beliebigke­it und Profillosi­gkeit“abgebogen sei, identifizi­ert er als Wurzel des Übels – und schert dabei die europäisch­en Parteien über einen Kamm. Was etwa für die deutsche SPD argumentie­rbar ist, bietet aber für die SPÖ, wo der Hype um die „neue Mitte“à la Blair und Schröder rasch in der Opposition endete, keine überzeugen­de Erklärung. Der Beleg, den Nowotny ausgiebig zitiert, ist dürftig: Das 1998 geschriebe­ne Parteigram­m mag sich an den dritten Weg anbiedern, ist jedoch für die reale Politik von heute trotz formaler Gültigkeit irrelevant. Ein Projekt wie die Arbeitsmar­ktreform Hartz IV haben Österreich­s Sozialdemo­kraten nie durchgeset­zt. Thomas Nowotny, „Das Projekt Sozialdemo­kratie. Gescheiter­t? Überholt? Zukunftswe­isend?“, € 24,90 / 312 Seiten, Studien-Verlag, Innsbruck 2016

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