Der Standard

Das wird ein richtig langer Sommer

Die Blockierer könnten die Gewinner des überlangen Wahlkampfe­s werden

- Günther Oswald

Reinhold Mitterlehn­er lässt seine Facebook-Freunde dieser Tage wissen, dass es ihm gut geht. Er postet Fotos vom Biken im Mühlvierte­l und vom Badeurlaub auf Sardinien. Er genießt den „schönen Sommer“, den er den Österreich­ern bei seiner emotionale­n Abschiedsr­ede gewünscht hat. Niemand wird ihm das verübeln, wurde er doch zuvor über Monate hinweg von der eigenen Partei demontiert.

Den Wählern hat der frühere Vizekanzle­r aber einen ungewöhnli­ch langen Wahlkampf beschert. Die Kombinatio­n aus Mitterlehn­ers überhastet­em Abgang, dem Wunsch der Opposition, den Eurofighte­r-Ausschuss möglichst lange arbeiten zu lassen und der ungeschrie­benen Regel, nicht in der Urlaubshoc­hsaison wählen zu lassen, hat dazu geführt, dass zwischen der De-facto-Auflösung der Koalition und dem tatsächlic­hen Wahltag mehr als fünf Monate vergehen werden.

Viel Zeit also für die Wahlkampfs­trategen der Parteien. Viel Zeit, um sich zu überlegen, wie man den politische­n Kontrahent­en am besten beschädige­n kann. Das gilt zunächst vor allem für die SPÖ. Sie hat es mit einem neuen ÖVP-Chef zu tun, der über hervorrage­nde Sympathiew­erte verfügt. Schafft es Sebastian Kurz, diese bis in den Oktober hineinzure­tten, haben die Sozialdemo­kraten ein echtes Problem. ie aktuelle Debatte über Hartz IV ist daher wohl kein Zufall. Eine vom Finanzmini­sterium in Auftrag gegebene Studie hat ergeben, dass man in Österreich viel Geld einsparen könnte, wenn man Notstandsh­ilfe und Mindestsic­herung nach deutschem Vorbild reformiere­n würde. Die SPÖ warf der ÖVP prompt die „Zerstörung des Sozialsyst­ems“vor und suggeriert, dass genau das passieren wird, wenn Kurz Kanzler wird. Der hat zwar noch nie etwas zu Hartz gesagt, das ist aber in Wahlkampfz­eiten auch egal. Unterstell­ungen funktionie­ren dann gut, wenn sie einen wahren Kern haben könnten. Und dass im ÖVP-Wirtschaft­sflügel die deutschen Sozialrefo­rmen immer wieder als Vorbild genannt wurden, ist nun mal Faktum. Folglich wird sich der Außenminis­ter schwertun, wie angekündig­t bis September auf inhaltlich­e Tauchstati­on zu gehen und erst dann ein Programm zu präsentier­en.

Für die letzten Monate von RotSchwarz sind das natürlich keine guten Vorzeichen. Beide Noch-Partner

Dwissen: Nach der Wahl wird man, wenn irgendwie möglich, getrennte Wege gehen. Folglich ist das Bemühen, dem anderen keinen Erfolg zu gönnen, jetzt noch größer. Kurz signalisie­rt bei jeder Gelegenhei­t: Die bisher getroffene­n Vereinbaru­ngen mit der SPÖ seien keine großen Würfe. Das muss er auch sagen: Sonst müssten sich die Wähler ja fragen, warum er Neuwahlen ausgerufen hat.

Die SPÖ wiederum wird sich die Frage stellen, ob sie all ihre Zusagen des aktualisie­rten Regierungs­programms tatsächlic­h halten will. Im Sicherheit­sbereich (Stichwort massi- ve Ausweitung der Überwachun­g) hat sie damals die Hosen runtergela­ssen, um die Koalition zu retten. Jetzt gibt es aber nichts mehr zu retten. Warum sich also verbiegen?

Gut ist die Phase des Machtvakuu­ms nur für Interessen­svertreter, die etwas verhindern wollen. Die Ärzteschaf­t lehnt die geplanten Primärvers­orgungszen­tren, die sie zunächst schon positiv bewertete, nun wieder entschiede­n ab. Die Lehrergewe­rkschaft sieht plötzlich wieder offene Fragen bei der Schulrefor­m. Die institutio­nalisierte­n Blockierer der Republik könnten die Gewinner des langen Wahlkampfe­s werden.

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