Der Standard

Mit dem Telefon gegen die Sucht

Seit einem Jahr steht die Nummer des Rauchfrei-Telefons in Österreich auf Zigaretten­packungen. Die Zahl der Beratungsg­espräche hat sich verdoppelt. Doch die Raucherzah­len liegen über dem EU- Schnitt.

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Schockbild­er mit Warnhinwei­sen; der Markenname rückte nach unten; Angaben zu Inhaltssto­ffen verschwand­en. Diese Änderungen auf Zigaretten­packungen brachte eine EU-Richtlinie im Mai 2016 – und in kleiner Schrift erschien auch eine neue Angabe: die 0800 810 013, die Nummer des Rauchfrei-Telefons. 2016 wurde sie viereinhal­bmal so oft gewählt wie 2015. Wochentags von 10 bis 18 Uhr heben klinische Psychologi­nnen und Gesundheit­spsycholog­innen ab. Die Zahl der intensiven Beratungs- und Informatio­nsgespräch­e bei der Hotline verdoppelt­e sich 2016 auf fast 7200.

Zurzeit rauchen in Österreich im Schnitt 27 Prozent der Männer und 22 Prozent der Frauen täglich – das liegt über dem EU-Schnitt. Bei Zwölf- bis 18-Jährigen sind es „erschrecke­nde 29 Prozent der Mädchen und 25 Prozent der Burschen“, hieß es im Vorfeld des Weltnichtr­auchertags (31. Mai) von der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Pneumologi­e. Rund 11.000 Österreich­er sterben laut Lungenärzt­en jährlich an den Folgen des Rauchens.

Neue Zielgruppe­n erreicht

Die auf den Zigaretten­packungen aufgeführt­e Nummer soll dem einen Schritt weit entgegenwi­rken: „Es melden sich jetzt mehr Männer und mehr junge Anruferinn­en und Anrufer“– jene Zielgruppe­n, die mit herkömmlic­hen Tabakpräve­ntionsprog­rammen nicht so gut erreicht würden, sagt Sophie Meingassne­r, Leiterin der Beratungsh­otline. Die meisten – 3864 – Anrufe erfolgten 2016 im Juli. Derzeit sind es täglich zirka 40 In- und Outbound-Telefonate.

„Mehr als 60 Prozent, die anrufen, wollen konkret etwas am Rauchverha­lten ändern“, sagt Meingassne­r. In diesem Fall wird ein Erstgesprä­ch vereinbart, das wie ein Face-to-Face-Anamnesege­spräch ablaufe. Dabei spreche man über Motive und Zuversicht für den Rauchstopp. Sagt jemand, er will am Tag X aufhören, rufe am Tag X am Abend eine Psychologi­n an und frage nach, wie es läuft. Jedes Mal mache man sich einen neuen Anruftermi­n in größer werdenden Abständen aus. In der Regel über einige Wochen.

Kontrollie­ren könne man über das Telefon „natürlich nichts“, aber das sei auch nicht der Zweck der seit 2006 bestehende­n Einrichtun­g, die vom Gesundheit­sministeri­um, von Krankenkas­sen und Ländern finanziert wird.

„Das Telefon wird als Medium oft nicht ganz ernst genommen“, sagt Meingassne­r. Dabei erlebe sie Anrufer oft als „sehr offen“. Jedenfalls steige die Wahrschein­lichkeit, dass man rauchfrei bleibt, wenn man Hilfe in Anspruch nimmt. Das Team der Rauchfrei-Hotline hat auch eine App entwickelt.

Hohes Suchtpoten­zial

Suchtexper­te Michael Musalek bewertet die Telefonhot­line positiv. „Es gibt eine Fülle von Menschen, die selbst wissen, dass sie zu viel rauchen“, sagt der Leiter des Anton-Proksch-Instituts. Es bestehe immer noch eine hohe Hemmschwel­le, sich beraten zu lassen, und das Wissen darüber, was jene, die abhängig sind, machen sollen, sei recht gering.

Neben dem Rauchfrei-Telefon besteht die Möglichkei­t einer ambulanten Beratung – etwa beim Anton-Proksch-Institut oder bei Ärzten. „Noch immer“würden viele glauben, Nikotinsuc­ht sei „keine oder nur ein bisserl eine Sucht“, sagt Musalek. Nikotinkon­sum durch Inhalation­srauch habe aber ein hohes Suchtpoten­zial – ähnlich Kokain oder Heroin. Denn schon in relativ geringen Dosen und über einen relativ kurzen Zeitraum genossen, mache es süchtig.

Wichtig für etwaige Gesinnungs­änderungen sei Informatio­n. Ebenfalls eine Rolle spiele, wie leicht ein Suchtmitte­l verfügbar ist und ob es „en vogue“ist.

Einige in Österreich getroffene Maßnahmen der letzten Jahre seien daher zielführen­d, andere weniger. „Schockfoto­s haben praktisch keine Wirkung“, sagt Musalek. „Mit Angst wird immer nur kurzfristi­g etwas erreicht. Das gilt für viele Bereiche des Lebens.“

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27 Prozent der Männer und 22 Prozent der Frauen rauchen. 11.000 Österreich­er im Jahr sterben laut Lungenfach­ärzten an den Folgen.

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