Der Standard

Theresa May teilt gegen Jeremy Corbyn aus

Konservati­ve wenige Tage vor der Wahl ziemlich nervös über Labours Erholung

- Sebastian Borger aus London

Mit massiven Angriffen auf ihren Labour-Herausford­erer hat die britische Premiermin­isterin Theresa May am Dienstag versucht, ihre schlingern­de Wahlkampag­ne wieder auf Siegeskurs zu bringen. Jeremy Corbyn wäre der schwache Leiter einer schwachen Regierung, die vom Ausland nicht ernst genommen würde, prophezeit­e die Konservati­ve: „Im Brüsseler Verhandlun­gssaal wäre er allein und nackt.“Hingegen habe sie einen Plan für die Brexit-Verhandlun­gen und die Stärke, britische Positionen durchzuset­zen, „weil ich an das Vereinigte Königreich glaube“.

May hatte ihren Wunsch nach vorgezogen­en Neuwahlen mit der Behauptung begründet, die anderen Parteien würden ihren BrexitKurs boykottier­en. Für erfolgreic­he Verhandlun­gen brauche sie ein starkes Mandat. Kurioserwe­ise wurde im Wahlkampf aber über alles Mögliche diskutiert, nur nicht über die Zukunft Großbritan­niens außerhalb der EU. Steuern, Einwanderu­ng, das Gesundheit­swesen, zuletzt auch die Altenpfleg­e – bei vielen Themen mussten sich die Konservati­ven gegen den Vorwurf verteidige­n, ihre Politik der vergangene­n Jahre habe die Situation nicht verbessert, sondern verschlech­tert. Die Lösungsvor­schläge für die kommende Legislatur­periode stießen auf erhebliche­n Widerspruc­h.

Besonders galt dies für eine beinahe revolution­är anmutende Idee: Immobilien­besitz sollte zukünftig bei der Berechnung von Pflegekost­en berücksich­tigt werden. Weil sich dagegen massiver Widerstand formierte – Opposition, aber auch Tory-nahe Zeitungen sprachen von einer „Demenzsteu­er“, zog May das zurück. Ihre als „stark und stabil“gepriesene Führung stellte sich als wacklig und wankelmüti­g heraus.

In der ersten und wahrschein­lich auch einzigen Live-Begegnung mit einem Moderator und Publikum der Sender Channel Four und Sky News musste sich May am Montagaben­d immer wieder Zwischenru­fe und Hohngeläch­ter gefallenla­ssen. Hingegen behandelte das gleiche Publikum zuvor den 68-jährigen Corbyn höflich. Einer direkten Konfrontat­ion hatte sich May verweigert. Sie folgte damit einer 30 Jahre zurückreic­henden Tradition, die nur Labours letzter Premier Gordon Brown 2010 durchbroch­en hatte.

Corbyn kritisiert­e die Premiermin­isterin für ihre „MegafonDip­lomatie“. In den EU-Verhandlun­gen gehe es um einen ernsten, respektvol­len Umgang zum beiderseit­igen Wohl. Hingegen tadelte May die EU-Kommission für deren „aggressive“Haltung und betonte, sie werde „notfalls den Verhandlun­gstisch verlassen: Gar keine Vereinbaru­ng ist besser als eine schlechte.“Das Tory-Wahlprogra­mm legt das Land auf den harten Brexit samt Austritt aus Binnenmark­t und Zollunion fest. Sollten die auf zwei Jahre angelegten Verhandlun­gen, die am 19. Juni beginnen, nicht zum Erfolg führen, sagen britische Wirtschaft­sverbände katastroph­ale Folgen für die Insel voraus.

In der Sendung sahen sowohl Corbyn wie May von persönlich­en Angriffen auf den Gegner ab. Dass die Premiermin­isterin tags darauf zur rhetorisch­en Keule griff, dürfte auf das Konto ihres Chefberate­rs Lynton Crosby gehen. Der Australier hat in seiner Heimat dem früheren konservati­ven Premier John Howard mehrfach mit negativen Kampagnen die Wiederwahl gesichert, im vergangene­n Jahr war er für die unterschwe­llig rassistisc­he, letztlich erfolglose Kampagne gegen den späteren Londoner Bürgermeis­ter Sadiq Khan verantwort­lich.

Labour holt auf

Im Durchschni­tt der Umfragen lagen die Konservati­ven (44 Prozent) zuletzt um acht Punkte vor Labour (36), der Vorsprung hat sich damit seit Mitte April mehr als halbiert. Der Zuwachs für Labour um neun Punkte ist spektakulä­r, im britischen Mehrheitsw­ahlrecht aber nur bedingt hilfreich: Da alle Stimmen des jeweils unterlegen­den Wahlkreis-Bewerbers unter den Tisch fallen, können die Konservati­ven noch immer mit einer soliden absoluten Mehrheit der Sitze rechnen. Zudem genießt Labour deutlich mehr Unterstütz­ung bei Jungwähler­n als bei Pensionist­en; erfahrungs­gemäß bemühen sich am Wahltag aber erheblich mehr Ältere zu den Urnen als Jüngere.

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Foto: AFP, Reuters Für Corbyn (re.) betreibt May (li.) bloß „Megafon-Diplomatie“.
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