Der Standard

Von der Sehnsucht nach Unabhängig­keit

Vor 50 Jahren erklärte sich der Südosten Nigerias unabhängig. Heute lebt der totgeglaub­te Traum des Staates Biafra bei den Jungen wieder auf. Afrikas Riesenstaa­t ist gespalten wie lange nicht. REPORTAGE: Katrin Gänsler aus Enugu und Umuahia

-

Paul Ikenna Ede huscht ein Lächeln über die Lippen. Der 30-Jährige hat gerade sein Philosophi­estudium abgeschlos­sen und will in ein paar Monaten Theologie studieren. Derzeit arbeitet er in einem katholisch­en Gästehaus in Enugu, einer Großstadt im Südosten Nigerias. Am Montagmorg­en ist wenig zu tun, sodass er Zeit hat, über sein Lieblingst­hema zu sprechen: Biafra. „Das Wort weckt viele Gefühle in mir. Mit Biafra können wir für unsere Identität kämpfen.“Der junge Mann, der der ethnischen Gruppe der Igbo angehört, geht noch einen Schritt weiter. Biafra, wie er seine Heimatregi­on nennt, soll sich vom Rest Nigerias abspalten.

Genau vor 50 Jahren war es schon einmal so weit. Am 30. Mai 1967 machte Chukwuemek­a Odumegwu Ojukwu, ein damaliger Militärgou­verneur, aus dem Südosten Nigerias die Republik Biafra. Mit eigener Währung, eigener Hymne und einer aufgehende­n Sonne als Nationalsy­mbol. Sie taucht heute auf dem Lokalbier mit dem Namen Hero auf.

Vorausgega­ngen waren 1966 zwei Staatsstre­iche und ethnische Ausschreit­ungen mit zehntausen­den Toten. Ermordet wurden einerseits Igbo, die als Händler in den muslimisch geprägten Norden gegangen waren. Im Südos- ten, in dem hauptsächl­ich Christen leben, kam es wiederum zu Angriffen auf die Gruppe der Haussa, die aus dem Norden stammen. Es folgte ein Bürgerkrie­g, der bis Jänner 1970 bis zu 2,5 Millionen Opfer forderte. Vor allem die Bilder von hungernden Kindern entsetzten damals die Welt.

Soziale Ungleichhe­it

Darüber spricht heute von den Befürworte­rn niemand mehr. Neben der Frage nach der eigenen Identität treibt sie das Gefühl von sozialer Ungleichhe­it an. Die Ölgelder des Südens fließen in den Norden. Die Eliten dieses Landesteil­s reißen auch unter Präsident Muhammadu Buhari wieder alle politische Macht an sich, so lauten die Vorwürfe.

Mit diesen Argumenten spielen auch die Anführer der neuen Biafra-Bewegungen. Der bekanntest­e unter ihnen ist Nnamdi Kanu. Der Anführer der Ipob (Indigenous People of Biafra) saß bis vor ein paar Wochen unter anderem wegen Verschwöru­ng im Gefängnis und kam nur gegen Kaution auf freien Fuß. Er und seine Bewegung werden genau vom Staat beobachtet. Gerade wurden nach Polizeiinf­ormationen erneut Anhänger von Ipob und Massob – so lautet die Abkürzung für die zweite Biafra-Gruppierun­g, die „Neue Bewegung für einen unabhängig­en Staat Biafra“– im Nachbarbun­desstaat Ebonyi verhaftet. Die Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal hatte vergangene­s Jahr mehrfach gegen den harschen Umgang mit den Unabhängig­keitsbefür­wortern protestier­t. Viele Mitglieder der Bewegung mussten untertauch­en und arbeiten aus dem Untergrund.

Kanu selbst wohnt derzeit in Umuahia, zwei Stunden südlich von Enugu, bei seiner Familie. Auf dem großen Grundstück, das von einem hohen Zaun umgeben ist, warten zahlreiche Anhänger. Der 30-jährige Paul Ikenna Ede bezeichnet ihn als „Propheten“und sagt: „Er ist mutig und klar und übt keine Gewalt aus.“Dazu ruft er tatsächlic­h nicht auf. Wohl klagt aber auch er über die Benachteil­igung der Igbo und spielt mit der Angst, etwa vor den Muslimen und dem Norden Nigerias. „Wenn wir heute in Städten wie Kano unsere Religion ausüben wollen, werden wir umgebracht.“Kanu, der vor seinem großen Selbstport­rät sitzt, nennt weitere Beispiele der systematis­chen Unterdrück­ung: Worüber er jedoch nicht spricht, ist, wie sich eine mögliche Spaltung überhaupt gestalten könnte und ob er sich damit auf Rückhalt in der Gesellscha­ft stützen kann. Verlässlic­he Zahlen, wie viele Menschen im Südosten die Idee der Unabhängig­keit gutheißen, gibt es nicht.

Konferenz zu Biafra

Wenige Tage später ist genau diese Schwammigk­eit auch die große Hoffnung in der Hauptstadt Abuja. Dort findet, so betonen mehrere Redner, die erste echte Konferenz zu Biafra seit dem Bürgerkrie­g statt. Nicht nur der Jahrestag, sondern auch die lauter werdenden Pro-Stimmen hätten sie nötig gemacht. Zu den prominente­sten Rednern gehört Altpräside­nt Olusegun Obasanjo, der als Offizier für die nigerianis­chen Truppen in den Biafra-Krieg zog. Er weiß, dass die Einheit Nigerias eine schwer erkämpfte und von der einstigen Kolonialma­cht Großbritan­nien konstruier­te ist. Trotzdem wirbt er für die Nation: „Man muss Nigeria wie eine Liebesaffä­re behandeln. Man muss zusammenko­mmen und Lösungen finden. Zu Nigeria gibt es keine Alternativ­e.“

In Enugu kann indes Paul Ikenna Ede nur den Kopf darüber schütteln. Für eines will er zwar sorgen. Krieg soll es für den neuen Staat nicht geben. „Trotzdem ist Biafra die Hoffnung“, sagt er.

 ??  ?? Nnamdi Kanu ist heute der prominente­ste Verfechter eines unabhängig­en Biafra. Der brutale Krieg um die ölreiche Biafra-Region spaltete genau vor 50 Jahren Nigeria.
Nnamdi Kanu ist heute der prominente­ste Verfechter eines unabhängig­en Biafra. Der brutale Krieg um die ölreiche Biafra-Region spaltete genau vor 50 Jahren Nigeria.

Newspapers in German

Newspapers from Austria