Jihadistenprozess: „Pflicht, sich IS- Staat anzuschließen“
Graz – Nein, sagt der Pflichtverteidiger, er werde die Videos nicht anschauen, wenn diese „einen gewissen Level überschreiten“und sie „mit meinem Glauben und Gewissen nicht vereinbar sind“. Der Staatsanwalt wendet sich an die Geschworenen: „Merken sie sich das: Die Kinder der Angeklagten mussten sich solche Videos anschauen.“Nämlich Videos, auf denen zu sehen ist, wie IS-Terrormilizen Menschen massakrieren.
Das Gericht verzichtet an diesem zweiten Verhandlungstag im Grazer „Jihadistenprozess“schließlich auf das Abspielen des Videos. Die Erläuterungen des deutschen Gutachters, des Islamwissenschaftlers und Terrorexperten, Guido Steinbach, sind erhellend genug. Steinbach schildert, in welchem Ausmaß auch Kinder in das Terrorregime des IS hineingezogen werden. Kinder, womöglich auch jene der zwei Elternpaare, die hier in Graz vor Gericht sitzen und die mit ihren acht Kindern nach Syrien ausgewandert waren.
Die Angeklagten waren laut Steinberg Mitglieder eines „ungeheuer radikalen“Grazer Moscheevereines. Es werde dort „alles Ungläubige“abgelehnt: die Demokratie, Wahlen, in Einzelfällen würden Mitglieder dieser Glaubensrichtung sogar bei Rot über die Kreuzung gehen, weil sie auch die Straßenverkehrsordnung nicht akzeptieren. Als 2014 der islamische Staat ausgerufen wurde, sei es ihrer Lehre nach „Pflicht gewesen, sich dem IS-Staat anzuschließen“– was die Familien laut Anklage auch gemacht hatten. Den vier Erwachsenen drohen mehrjährige Haftstrafen. (mue)