„Klimawandel manifestiert sich lokal“
Der Klimaforschungsverbund Climate Change Center Austria hat einen „Science-Plan“zum Umgang mit der Erderwärmung erstellt. Obmann Gerhard Wotawa erklärt, wo der Handlungsbedarf am größten ist.
mittelerzeugung zusammenhängt, werde zurzeit die Verbraucherseite stärker diskutiert. „Hier gibt es ein großes Potenzial, beispielsweise was die Reduktion des Konsums tierischer Produkte betrifft“, so Haberl. „Die Politik könnte vermehrt Anreize schaffen, um Gesundheitsmaßnahmen und Verringerung von CO2-Emissionen zu kombinieren.“Dabei sei aber klar, dass das IPCC immer nur für die Politik relevante Fakten aufs Tapet bringe, ohne aber einen „richtigen“Weg vorschreiben zu wollen.
Zur Umsetzung der Klimaziele in einem ökonomischen Bezugsrahmen benötigt die Politik passende Instrumente wie etwa den Emissionshandel. Karl Steininger, Wissenchafter am Institut für Volkswirtschaftslehre und am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Uni Graz, arbeitet mit seinen Kollegen an einem Klimafondsprojekt zur gerechteren Verteilung von Emissionsrechten.
Emissionsverursacher
„Derzeit werden die Emissionen jenem Land zugerechnet, in dem sie entstehen – unabhängig davon, was mit den Gütern passiert, durch deren Herstellung sie verursacht werden“, sagt Steininger. Würde man die Emissionen allerdings nicht dem Land der Produktion, sondern dem Land des Konsums zurechnen, würde die Sache anders aussehen. „Wir ziehen dann in Österreich die Emissionen des Stahls ab, den wir nach Deutschland exportieren, und rechnen jene hinzu, die durch die Produktion unserer Handys in China entstehen“, gibt Steininger ein Beispiel. Insgesamt würde eine derartige neue Emissionsbilanz 50 Prozent mehr Emissionen für Österreich ausweisen als nach der bisherigen Vorgangsweise.
Dank dieses Prinzips hätte man durch den Außenhandel einen Hebel in der Hand, der Emissionen überall auf der Welt verringern könnte. Steininger und Team arbeiten daran, Instrumente für dieses Nachfrageprinzip zu entwickeln: „Wenn wir gewisse Eigenschaften eines Produktes vorschreiben, die auch ausländische Produzenten erfüllen müssen, können wir so zu einer Verbesserung der CO2-Bilanz beitragen.“Kontraproduktive Regeln müssten zudem geändert werden. „Man könnte etwa Baustoffe begünstigen, die weniger CO2-intensiv sind, und etwa unnötige, einschränkende Regelungen beim Holzbau auflassen“, gibt Steininger ein Beispiel.
Abwanderung verhindern
Eine nachfrageorientierte Emissionsbilanz würde zudem der Abwanderung von Industrien entgegenwirken. Würde die Stahlproduktion aufgrund ihrer Emissionen in Europa unter Druck kommen, wäre das ein weiterer Anreiz, um sie etwa nach China auszulagern, wo eventuell noch mehr Emissionen anfallen und die globale Bilanz verschlechtern.
Und welche wirtschaftliche Relevanz haben die eingangs beschriebenen Veränderungen im österreichischen Wald? „Der Forstwirtschaft tut es weh, wenn die Fichte verschwindet, weil man mit ihr gutes Geld verdienen kann“, sagt Robert Jandl vom Bundesforschungszentrum für Wald. Mit Eichen wäre das schwieriger.
Weil Holz ein nachwachsender CO2-Speicher ist, wirke sich jede Nutzung positiv auf die Emissionsbilanz aus. Die Holwirtschaft mit ihren langen „Produktionszeiträumen“von 80 Jahren muss aber besonders vorausschauend agieren, beispielsweise um neuen Schädlingen zu begegnen. „Keine der künftigen Baumgenerationen wird der heutigen gleichen. Wir müssen jetzt den Wald dorthin bringen, wo das Klima in 80 Jahren ist“, sagt Jandl. STANDARD: Die Klimaziele von Paris gelten für alle gleichermaßen. Warum braucht es einen SciencePlan, der auf Österreich fokussiert? Wotawa: Der Klimawandel ist zwar ein globales Problem, die Auswirkungen manifestieren sich aber lokal auf vielfältige Weisen. Österreich hat etwa mit seinem Anteil an den Alpen andere Bedürfnisse als andere Länder. Darum wollten wir eine Landkarte der einschlägigen Forschung in Österreich anfertigen. Zum einen, um zu zeigen, was wir wissen und was wir nicht wissen. Zum anderen, um herauszuarbeiten, wer welche Kompetenzen hat, die in der Auseinandersetzung mit dem Klimawandel relevant sind. Jedes Land sollte das für sich machen.
Standard: Wo liegt aus Ihrer Sicht der größte Forschungsbedarf in Österreich? Wotawa: Besonders wichtig ist eine interdisziplinäre Herangehensweise. Der Klimawandel ist ein physikalisches Faktum. Dieses Faktum zieht eine ganze Reihe an Herausforderungen nach sich, die andere wissenschaftliche Disziplinen betreffen. Im Gesundheitsbereich, in den Sozialwissenschaften oder in der Wirtschaft entstehen neue Problemstellungen: neue Risiken, denen man begegnen muss, aber auch Entwicklungsmöglichkeiten. Die notwendigen Veränderungen bieten auch Chancen für den Technologiestandort Österreich, bei Elektromobilität oder Solarenergie Entwicklungen vorwegzunehmen.
Standard: Wie kann diese Interdisziplinarität aussehen? Wotawa: Globale Modelle für das Klima und seine Auswirkungen müssen auf kleinräumigere Skalen heruntergebrochen werden. Die Datensätze müssen an den Universitäten für eine gemeinsame Nutzung zugänglich gemacht werden, dafür braucht es entsprechende Infrastrukturen. Der eine Forschungsbereich muss auf den Erkenntnissen des anderen aufbauen können. INTERVIEW:
Standard: Wie können die Erkenntnisse ihren Weg in die Praxis finden? Wotawa: Man muss das Wissen dort hinbringen, wo die betroffenen Bürger und Akteure sind. Das können Bürgermeister sein, Manager von Skigebieten oder die Straßenmeisterei. Sie müssen jeweils auf ihre Art auf Veränderungen der Umwelt reagieren. Man muss kleinräumige Aussagen tref- fen können und Wissen so übersetzen, dass es für die Allgemeinheit verständlich ist.
Standard: Sie haben die besondere Situation Österreichs als Alpenland genannt. Welche Erfordernisse resultieren daraus? Wotawa: Es gibt ganz direkte Auswirkungen: Gletscherschwund und Rückgang des alpinen Permafrosts haben etwa zur Folge, dass Steinschichten instabil werden und Felsstürze häufiger werden – ein Problem für manche Skigebie- te. Aufgrund des komplexen Geländes gibt es zudem besondere Anforderungen an die Simulation von Wetterereignissen. Wir müssen zum Beispiel vorhersagen können, wie sich in zehn, zwanzig Jahren Extremwetterereignisse entwickeln werden. Die globalen Klimamodelle, die Jahrzehnte in die Zukunft rechnen, haben eine viel zu grobmaschige Auflösung, um die lokalen Situationen in den Alpen abzubilden.
Standard: Welche Konsequenzen sollten wir aus der Zunahme von Hitzewellen ziehen? Wotawa: Sommerliche Hitzephasen, in denen die Nachttemperaturen mehrere Tage nicht unter 25 Grad sinken, werden zunehmen. Das kann zu einer Reihe gesundheitlicher Probleme führen. Hier spielen demografische und soziale Aspekte mit. Ältere Leute mit schwacher Gesundheit, die sich keine Klimatisierung leisten können, sind besonders stark betroffen. Die Simulationen, die uns zur Verfügung stehen, zeigen ab 2050 eine drastische Zunahme derartiger heißer Wetterlagen. Medizinische Modelle lassen auf eine mögliche Verzehnfachung der Todesfälle schließen. Unser medizinisches System könnte an die Grenzen der Belastbarkeit gelangen.
Standard: Wie sieht es mit Unwetterfolgen aus? Wotawa: Kleinräumige sommerliche Extremereignisse wie Gewitter, Hagel oder lokale Tornados sind anders als große Fronten mit dem vorhandenen Messnetz nur schwer erfassbar. Sie treten je nach Region oder Jahreszeit sehr unregelmäßig auf. Die Herausforderung ist, sie dennoch richtig vorherzusagen. Neben der Fernerkundung per Radar oder Satelli- tenaufnahmen ist es auch wichtig, neue Datenquellen anzuzapfen. Das könnten Meldungen zu Unwetterschäden sein, die bei Versicherungen oder Behörden zusammenlaufen. Zusätzlich zu den 300 Wetterstationen im Land verbessern sie die Einblicke in die Unwetterdynamik.
Standard: An wen richtet sich der österreichische Science-Plan? Wotawa: Beiträge von etwa 80 Wissenschaftern wurden in einem mehrjährigen Prozess gesammelt, reviewt und gewichtet. Ein Hauptadressat ist die Climate-ChangeCenter-Community selbst. Die eine Disziplin muss wissen, was die andere produziert. Schnittstellen müssen definiert sein, um die Wissenschaften zu vernetzen. Der Science-Plan soll zudem eine Richtschnur für heimische Förderstellen sein. Und natürlich ist auch die Öffentlichkeit, die sich über die Herausforderungen des Klimawandels informieren will, ein Adressat.
Standard: Nach wie vor sind viele Menschen nicht von der Realität der Erderwärmung überzeugt. Selbst die Politik ist nicht frei von Klimawandelleugnern. Wie soll man damit umgehen? Wotawa: In Zukunft wollen wir uns noch wesentlich mehr im Bereich der Wissensvermittlung engagieren. Als wissenschaftliches Netzwerk geben wir keine politischen Kommentare ab. Aber uns ist wichtig, dass etwa auch in Wahlkampfzeiten diese wichtige Problematik außer Streit gestellt wird. Wir können anbieten zu erklären, was der Klimawandel für jeden Einzelnen bedeutet.
Medizinische Modelle lassen auf eine mögliche Verzehnfachung der Todesfälle durch Hitzewellen schließen.
GERHARD WOTAWA (49) leitet den Bereich Daten, Methoden, Modelle an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), eine nachgereihte Dienststelle des Wissenschaftsministeriums. Der Meteorologe, der u.a. an der Universität Wien und der University of Colorado in Boulder arbeitete, ist seit März 2017 Obmann des Climate Change Center Austria (CCCA).