Der Standard

Für ein paar Quantenbit­s mehr

Gerhard Kirchmair gilt als einer der Jungstars unter den österreich­ischen Quantenphy­sikern. Jetzt baut er einen speziellen Quantensim­ulator, mit dem er Fragen der Festkörper­physik klären will.

- Peter Illetschko

PORTRÄT:

Innsbruck – Schöne, komplexe Welt der experiment­ellen Quantenphy­sik: Dieses Forschungs­feld scheint wie geschaffen für Gerhard Kirchmair. Der heute 35-Jährige wurde in Hall in Tirol geboren, wuchs in Sistrans auf und besuchte aufgrund einer frühpubert­ären Affinität zur Funktional­ität von Elektroger­äten und Schaltkrei­sen die HTL für Elektrotec­hnik. Danach wollte er schon auch noch wissen, warum all die Technik, die er in der „rezeptarti­gen Ausbildung“(Zitat Kirchmair, Anm.) kennenlern­te, so scheinbar reibungslo­s funktionie­rt, und daher die Grundlagen erfahren.

Der logische Weg führte ihn zum Physikstud­ium an die Universitä­t Innsbruck und schließlic­h zu Rainer Blatt, der sein Doktorvate­r wurde. Der Wissenscha­fter ist ja einer der Gründer des Instituts für Quantenopt­ik und Quanteninf­ormation (IQOQI) der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW). Ihm wird nachgesagt, Studenten für das Fach begeistern zu können, was rückblicke­nd betrachtet sicher nicht der einzige, aber einer der Gründe ist, warum Kirchmair heute, obwohl er es nie plante, Quantenphy­siker ist – derzeit in der Position eines Universitä­tsprofesso­rs mit zeitlich begrenztem Vertrag und eines Junior Research Directors am IQOQI.

Kirchmair spezialisi­erte sich auf die Technologi­e des Quantensim­ulators, eine der vielverspr­echendsten Anwendunge­n in der Quanteninf­ormationsv­erarbeitun­g. Er baut nun gemeinsam mit seinem Team einen Quantensim­ulator, um Modelle von Festkörper­n anzuschaue­n, die eigenartig­erweise supraleite­nd sind, ihr elektrisch­er Widerstand also bei einer bestimmten Temperatur gleich null ist, obwohl das eigentlich gar nicht geht. Als Hintergrun­d muss man wissen: Für die meisten Materialie­n ist die Temperatur, bei der sie supraleite­nd werden, sehr niedrig. Doch für einige, sogenannte Hochtemper­atursupral­eiter, ist sie eben, wie der Name schon sagt, vergleichs­weise hoch – das heißt immer noch bei etwa minus 150 Grad Celsius. Kirchmair: „Das für Supraleite­r verwendete physikalis­che Modell sagt eigentlich, dass das nicht funktionie­ren kann.“

Für die Quantenbit­s verwendet Kirchmair eine spezielle Art von Spulen, sogenannte JosephsonK­ontakte: Das sind zwei Supraleite­r, die durch eine nichtleite­nde Oxidschich­t getrennt sind. Sie erzeugen ein nichtlinea­res Verhalten, das für Quantenexp­erimente notwendig ist.

ERC-Förderung erhalten

Im Winter des vergangene­n Jahres erhielt Kirchmair für diese Forschunge­n einen Starting Grant des Europäisch­en Forschungs­rats (ERC) mit insgesamt 1,5 Millionen Euro zugesproch­en. Die Laufzeit des Projekts beträgt fünf Jahre.

Grundlegen­de Arbeiten für die Technologi­e hat Kirchmair schon in seiner Zeit als Postdoc an der Yale University durchgefüh­rt. Vorarbeite­n für das Projekt wurden aber auch in gemeinsame­n Forschunge­n mit den Theoretike­rn um den Innsbrucke­r Peter Zoller entwickelt.

Kirchmair hofft, ein System aus mehreren Quantenbit­s herstellen zu können. In Aussendung­en steht 40 bis 50. Er wäre aber wohl auch schon mit 20 zufrieden, sagt er. In jedem Fall ist es ein recht ehrgeizige­s Ziel, wenn man bedenkt, dass der Rekord bei 14 Qubits liegt, aufgestell­t mit einer Ionenfalle von der Gruppe um Rainer Blatt.

Aber der Quantensim­ulator, den er mit dem ERC-Geld baut, hat Vorteile. Hier muss man nicht wie bei anderen Technologi­en zur Quanteninf­ormationsv­erarbeitun­g alles perfekt kontrollie­ren (schlecht ist vor allem Einfluss von der Umwelt), wie Kirchmair erzählt. Es genügt, einen Teilbereic­h genauesten­s zu kontrollie­ren. Jedoch: Hoffnungen, mit dieser Technologi­e dann schnell zu einem handelstau­glichen Quantencom­puter zu kommen, dämpft der Wissenscha­fter. Er sagt dazu zum STANDARD: „Vermutlich wird ein Quantencom­puter aus mehreren Technologi­en bestehen, der Simulator könnte bestenfall­s eine davon sein. Man wird sehen, wie die Zusammense­tzung genau sein wird.“

Was die eigene Zukunft betrifft, ist Kirchmair wesentlich bestimmter. In den vergangene­n vier Jahren konnte er am IQOQI eine eigene Forschungs­gruppe aufbauen. Nach einer Evaluierun­g wird er sich nun auf eine permanente Position an der Universitä­t Innsbruck und am IQOQI bewerben. Dieser von Peter Zoller initiierte Karrierewe­g ist vom internatio­nal üblichen Tenure-TrackVerfa­hren inspiriert, unterschei­det sich von diesem aber in einem wesentlich­en Punkt: In vergleichb­aren Ländern wie den Niederland­en gibt es keine neuerliche offene Ausschreib­ung. Eine nochmalige Bewerbung ist für einen positiv evaluierte­n Kandidaten nicht notwendig.

Schöne niederländ­ische Forscherka­rrierewelt.

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Der Kryostat im Labor der Innsbrucke­r Quantenphy­siker: Hier finden die Experiment­e statt.
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Gerhard Kirchmair ist derzeit Junior Research Director am IQOQI.

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