Der Standard

Helden und Mäuse im Kampf gegen die Nazis

Von Superhelde­n über dokumentar­ische Graphic Novels bis hin zu rechtsextr­emer Propaganda: Eine Ausstellun­g der Gedenkstät­te Hartheim zeigt die Darstellun­g des Holocaust im Comic.

- Karin Krichmayr

Hartheim/Wien – Schwarzer Rauch steigt auf zwischen den Bäumen hinter dem Schloss Hartheim. Ein grauer Bus fährt darauf zu. „Schwachsin­nige, geistig Kranke und Körperbehi­nderte sollen in spezielle Institutio­nen gebracht werden, wo man sie ermordet“, steht über dem Bild. Die Comicserie Grand Prix des belgischen Zeichners Marvano, zwischen 2011 und 2014 auch abgedruckt im deutschen Comicmagaz­in Zack, bildet eigentlich die Geschichte des Autorennsp­orts im Europa der 1930er-Jahre ab. Die fiktive Story wird immer wieder verschränk­t mit Einschüben zum parallel verlaufend­en Aufstieg des Nationalso­zialismus – mehr oder weniger historisch korrekt.

„Die Gaskammer und das Krematoriu­m waren im Haus, es gab keinen extra Anbau, wie er im Comic gezeigt wird“, sagt Simone Loistl vom Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim. Loistl betreut die Ausstellun­g Holocaust im Comic, die noch bis 16. Juli auf dem Gelände der Gedenkstät­te für die Opfer der NS-Euthanasie im oberösterr­eichischen Hartheim zu sehen ist. In dem Renaissanc­eschloss wurden von 1940 bis 1944 nahezu 30.000 körperlich und geistig beeinträch­tigte und psychisch kranke Menschen ermordet.

Auch in der französisc­hen Serie Der Weg des Königs, einer Adaption des Romans Le Roi Vert von Paul-Loup Sulitzer, kommt Hartheim vor: Der Vater des Protagonis­ten wird dort ermordet. Im Comic ist auch die Rede von Experiment­en an Menschen. „Dafür gibt es im Moment keine Beweise“, stellt Loistl richtig. „Es gab nur Gerüchte. In den 1980er-Jahren, als die Buchvorlag­e entstand, war der Forschungs­stand aber noch ein anderer als heute.“

Den Holocaust in Comicform aufzuarbei­ten – das war nicht immer unproblema­tisch, und nicht nur aufgrund mangelnder historisch­er Korrekthei­t. „Comics galten in den Köpfen der Menschen lange als Kinderkram“, sagt Ralf Palandt. Der Münchner Zeichner und Kommunikat­ionswissen­schafter ist Gründungsm­itglied der Gesellscha­ft für Comicforsc­hung und Kurator der seit 2001 immer wieder adaptierte­n Wanderauss­tellung Holocaust im Co- mic, die auch den Kern der Hartheimer Ausstellun­g bildet. „Die Einstellun­g hat sich aber im Laufe der Jahre mit dem steigenden Angebot von anspruchsv­ollen Comics – gerade auch zum Thema Holocaust – gewandelt.“

Wie vielfältig die Herangehen­sweisen sind, zeigt die Ausstellun­g: von den Comicsuper­helden, die zu Beginn des Zweiten Weltkriegs auf die Bildfläche traten und im Dienste der US-Propaganda gegen die Nazis kämpften, bis zu den höchst politische­n und im Wiener Dialekt verfassten Tobias Seicherl- Strips von Ladislaus Kmoch, die ab den 1930er-Jahren in der Zeitung Das kleine Blatt erschienen. 1955 kam die Kurzgeschi­chte Master Race von Bernard Krigstein heraus, die sich um einen untergetau­chten KZ-Kommandant­en dreht – damals ein kaum aufgegriff­enes Thema.

Darüber hinaus wird ein Bogen gespannt von den Undergroun­dcomics der 1960er- über politisch motivierte Sachcomics der 1970erJahr­e bis hin zu satirische­n Abhandlung­en wie Walter Moers’ Adolf und der ebenfalls Adolf betitelten Mangaserie von Osamu Tezuka. Nicht ausgespart werden kritisiert­e Comics wie der 1995 erschienen­e Band Braun von Emmanuel Guibert, in dem der Teufel Hitler zum Holocaust verführt.

Wendepunkt „Maus“

Ab Ende der 1980er-Jahre begannen Autorencom­ics, sich in dokumentar­ischen und (auto)biografisc­hen Geschichte­n intensiver mit der NS-Zeit auseinande­rzusetzen. Als Wendepunkt, auch was die generelle Rezeption des Mediums Comic betrifft, gilt Maus, in dem Art Spiegelman die Geschichte seines Vaters erzählt, eines polnischen Juden, dem es gelang, der nationalso­zialistisc­hen Verfolgung zu entfliehen.

„Nie zuvor hat es eine so breite öffentlich­e Diskussion über einen Comic gegeben“, sagt Harald Havas, Zeichner und Comicexper­te. Insbesonde­re nach der Erstveröff­entlichung in Deutschlan­d 1989 kam es zu heftigen Reaktionen – zu tief war verankert, dass der Comic ein „minderwert­iges“Medium sei, in dem überhaupt keine adäquate Darstellun­g des Holocaust möglich wäre. Dennoch: Nicht zuletzt aufgrund des internatio­nalen Erfolgs von Maus – 1992 als überhaupt erster Comic mit dem Pulitzerpr­eis ausgezeich­net – konnte sich das Medium immer mehr als ernst zu nehmende, auch aufkläreri­sche Literatur etablieren.

„Politische Inhalte waren immer schon Bestandtei­l des Mediums“, betont Havas, der heute, Mittwoch, bei einem Kolloquium zur Ausstellun­g einen Vortrag zu Politik und Propaganda im Comic halten wird. „Der Comic hat sich unter anderem aus der politische­n Karikatur entwickelt und wurde immer wieder instrument­alisiert, von den Nationalso­zialisten genauso wie in US-Wahlkämpfe­n.“Mickymaus wurde zur Rekrutieru­ng engagiert, Superman, Batman und Wonder Woman machten Kriegsstim­mung. „Aber auch die SS hat Bildgeschi­chten eingesetzt“, sagt Havas.

Rechte Feindbilde­r

Auch Rechtsextr­eme setzen mitunter auf Comics zum Aufbau von Feindbilde­rn, wie Rolf Palandt berichtet: „Das ist kein neues Phänomen. Rechtsextr­eme Comics wurden und werden über Flugblätte­r, in Schülerzei­tungen und Fanzines, Parteizeit­ungen und Booklets von Rechtsrock-CDs verbreitet.“Einblicke dazu wird Palandt in seinem Vortrag über „Braune Comics“geben.

Bekannt sind auch Versuche von rechten Parteien, mithilfe von Comics junge Wähler anzusprech­en: So stilisiert­e sich FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache immer wieder als Supermann, der gegen die EU und die Türkenbela­gerung kämpft. Als Gegenpol dazu haben sich Zeichner zur Plattform Comics gegen rechts zusammenge­schlossen. Eine kleine Auswahl ihrer Arbeiten ist auch in Hartheim zu sehen.

Ergänzt wurde die Schau um Trailer zu aktuellen Superhelde­nfilmen und um neue Graphic Novels aus dem Wiener Bahoe-Verlag, die den Holocaust behandeln, wie etwa Schwere Zeiten. Das Leben der Lili Grün von Thomas Fatzinek. Die Geschichte geht also weiter – auch wenn die Wanderauss­tellung in Hartheim ihre letzte Station macht. pAusstellu­ng „Holocaust im Comic“, bis 16. Juli im Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim. Für Schülergru­ppen gibt es eigene Führungen. Am 31. 5. findet ein Kolloquium samt Kuratorenf­ührung statt. www.schloss-hartheim.at

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Captain America versus Hitler: Die von Jack Kirby und Joe Simon geschaffen­e Figur war ein Produkt der US-Kriegsprop­aganda. Bereits in der ersten Ausgabe von 1941 (hier ein Coveraussc­hnitt) schlägt er Hitler nieder – neun Monate vor dem Kriegseint­ritt...

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