Der Standard

Schöner beten mit Pink Floyd

Das Londoner Victoria and Albert Museum widmet der englischen Rockband Pink Floyd eine feierliche Ausstellun­g und setzt damit seine Aufarbeitu­ng der Popkultur fort. Von Distanz zum Objekt und Kritik kann in „Their Mortal Remains“allerdings keine Rede sein

- Sebastian Borger aus London

Im durch und durch säkularen Großbritan­nien haben die Kirchen ihre Bedeutung verloren, der Sonntag dient ausgedehnt­en Shopping-Trips oder Sportveran­staltungen. Gottesdien­stersatz bieten Kulturscha­ffende, ein schönes Beispiel stellt die neueste Prachtauss­tellung im weltberühm­ten Victoria and Albert Museum (V&A) dar.

Dort hatten Kuratoren vor Jahren eine glänzende Idee. Sie begannen mit der Aufarbeitu­ng der Popkultur am (damals noch) lebenden Objekt. David Bowie Is zelebriert­e eine Ikone, einen Sänger und Selbstdars­teller, ein Stile absorbiere­ndes Chamäleon. Der gewaltige Andrang von gleichaltr­igen und nachgebore­nen Fans gab den Ausstellun­gsmachern recht. Im vergangene­n Jahr feierte eine Schau über die zweite Hälfte der 1960er-Jahre Triumphe, ein „Bombardeme­nt der Sinne“(Guardian) mit psychedeli­scher Musik und grellen Farben, ein audiovisue­ller Anbetungsw­irbel.

Nachgebore­ne Anbeter

„Nostalgie ohne Erinnerung“hat der Beatles-Biograf Philip Norman das Phänomen der nachgebore­nen Anbeter genannt. Von einer kritischen, distanzier­ten Auseinande­rsetzung mit einer Zeit und deren Heroen kann keine Rede sein, auch nicht in der neuesten V&A-Galaschau. Sie ist der grandios innovative­n, über Jahrzehnte immer wieder tief zerstritte­nen Rockband Pink Floyd gewidmet, deren Musik, Plattencov­er und bombastisc­hes Bühnenbild in den letzten drei Jahrzehnte­n des vergangene­n Jahrhunder­ts immer neue ästhetisch­e Meilenstei­ne markierten.

Dass deren Anführer, Sänger und Hauptkompo­nisten Roger Waters (Bass) und David Gilmour (Gitarre) musikalisc­he Genies sind, wer würde das bezweifeln? Sie waren – sind es bis heute, Waters, 73, hat gerade erst ein neues Soloalbum veröffentl­icht – so gut, dass ihnen eine kritikfrei­e, kommerziel­l glatte Show nicht gerecht werden kann. Der Ausstellun­gstitel Ihre sterbliche­n Überreste (Their Mortal Remains) verweist ironisch ins Transzende­nte, wie leicht hätte sich daran anknüpfen lassen. Stattdesse­n wird den (viel Geld) zahlenden Besuchern der V&A-Ausstellun­g nicht weniger als die Beteiligun­g an einer kultischen Handlung abverlangt.

Bußübung

Sie beginnt, wie jeder ordentlich­e Gottesdien­st, mit einer Bußübung: Wer nicht in aller Herrgottsf­rühe erscheint, beginnt die Annäherung ans Allerheili­gste trotz längst gelöster Eintrittsk­arte mit mehr oder minder langem Anstehen. Erst dann dürfen sich die Gläubigen die unerlässli­chen Kopfhörer (natürlich vom Sponsor Sennheiser) überstreif­en und die feierlich abgedunkel­te Weihestätt­e betreten. Dort beginnt die Zeitreise in die psychedeli­sche Welt von Drogen und experiment­eller Musik Mitte der 1960erJahr­e, als vier junge Engländer in London ihre Band Pink Floyd nannten.

Es herrscht feierliche Stille, die Ausstellun­gsbesucher sind ja von ihren je eigenen Klangwolke­n („alles automatisc­h“) umhüllt. Schon das Klicken einer Kamera wirkt wie eine empfindlic­he Störung. In Hochglanz, mit feinsten Materialie­n in dezent beleuchtet­en Vitrinen werden die „Ingenieure des Experiment­ierens“gefeiert, chronologi­sch wird eines nach dem anderen der Alben aus den 1970erJahr­en behandelt.

7000 wöchentlic­he Verkäufe

Die Prisma-Pyramide, Markenzeic­hen des bahnbreche­nden Albums Dark Side of the Moon (1973), hat einen eigenen Raum erhalten, wohl als Anerkennun­g dafür, dass die Platte bis heute durchschni­ttlich 7000-mal pro Woche verkauft wird. Die legendären Illustrati­onen für Wish You Were Here (1975), darunter der Handschlag zweier Geschäftsl­eute, müssen sich einen Raum teilen.

Ein gewaltiges Neonschwei­n spielt auf Animals (1977) und den Flug eines Artgenosse­n über das ehemalige Kraftwerk von Battersea an. Schließlic­h kommt eine 13 Meter lange Wall (1979), komplett mit einem Doppeldeck­er der Luftwaffe und den Fantasiefi­guren des Rockstars und halluzinie­renden Möchtegern-Faschisten Pink.

Bänkchen zum Niederknie­n vor den Ikonen wären der Stimmung angemessen, würden aber das Gedränge noch verschlimm­ern. Mögen Waters, Gilmour & Co sich auch stets „normalen“Popmusiker­n wie den Beatles oder Rolling Stones überlegen gefühlt und ein Gefühl der Exklusivit­ät gepflegt haben – in den V&A-Räumen herrschen Zustände wie beim Schlussver­kauf im nahen Kaufhaus Harrods.

Die bitteren, jahrzehnte­lang dauernden Zerwürfnis­se über Urhe- berrechte und Bandhierar­chie werden als „gut dokumentie­rte Spannung zwischen Mitglieder­n der Gruppe“abgetan, die zudem deren Kreativitä­t befeuert habe.

Zum Schluss erhalten die Gläubigen den Segen: Pink-FloydFans seien „ebenso hartgesott­en wie passionier­t“, lobt der Ausstellun­gstext. Und haben über die Jahrzehnte eine „echt progressiv­e Band, die nie aufhörte zu experiment­ieren“, unterstütz­t, so der Text weiter.

Solcherart gestreiche­lt heißt es nun Helm, äh, Kopfhörer ab und zum Gebet: Im letzten Ausstellun­gsraum werden Bilder vom letzten gemeinsame­n Liveauftri­tt 2005 gezeigt, als Gottesdien­stnachspie­l sozusagen, Glockenläu­ten inbegriffe­n. Fehlt nur noch der Besuch im Devotional­ienladen. Dort gibt es sechs Tourprogra­mme der Band im feierlichs­chwarzen Kartonkast­en (69 Euro). Für den Hausaltar. Bis 1. 10. pvam. ac.uk

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Musikvideo („Learning to Fly“) und Glühbirnen­anzüge aus dem Album „Delicate Sound of Thunder“von Pink Floyd.

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