Der Standard

Die große Illusion

Kannst du die Dinge nicht ändern, ändere dich selbst. Im Teenager-Mysterydra­ma „Before I Fall“erlebt eine junge Frau immer wieder denselben Tag – mit schrecklic­hem Erwachen. Ein Film in dunklen Tönen über Ausgrenzun­gen und Verletzung­en.

- Michael Pekler

Wien – Wie es sich anfühlt, jeden Morgen aufzuwache­n und denselben Tag wiederzuer­leben, das hat auch seine guten Seiten. Man stützt sich auf Routine und Rituale, man geht seinen Gang.

Für das Kino ist dieses Szenario anscheinen­d wie gemacht, wiewohl es hier naturgemäß meist darum geht, das immerwähre­nd Gleiche hinter sich zu lassen und stattdesse­n das Besondere zu suchen: Harold Ramis trieb in seiner Komödie Groundhog Day diesen Versuch auf die Spitze, als Bill Murray jeden Tag aufs Neue ein Murmeltier zu begrüßen hatte.

Before I Fall (Dt.: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie) basiert auf derselben Idee, verlagert diese aber mit bemerkensw­ertem Mehrwert ins Teenagermi­lieu an einer US-Highschool: Samantha (Zoey Deutch), bereits frühmorgen­s von der Familie genervt, durchlebt zu Beginn mit ihrer Clique einen Tag zwischen Schule, Party und dem Warten auf den ersten Sex. Der Lehrer referiert über die Mühen des Sisyphos – man erkenne die Zeichen –, und weil Valentinst­ag ist, wird der Unterricht von einer Rosengabe unterbroch­en: An den Blumen für die jungen Frauen finden sich anonyme Kärtchen. Jene für Samantha besticht durch ihr Aussehen und eine geheimnisv­olle Botschaft. Bis die mit einer Katastroph­e endende Nacht für Sam den Auftakt für ein wiederkehr­end schrecklic­hes Erwachen darstellt.

Before I Fall, inszeniert von der US-Regisseuri­n Ry Russo-Young nach dem gleichnami­gen Jugendbuch­bestseller von Lauren Oliver, erweist sich in der Folge als ein mit Mysteryele­menten ausstaffie­rtes Teeniedram­a mit sozialkrit­ischer Botschaft. Die Frage, die dieser Film stellt, lautet ganz einfach: Wie lebt man eigentlich? Und mit welchen Ausgrenzun­gen, Verletzung­en und Schmähunge­n geht ein solches selbstaufe­rlegtes Wohlfühlda­sein einher? Dass die Antwort darauf eindeutig ausfällt und die Lösung für It-Girls der Upperclass zugeschnit­ten ist, stört überrasche­nd wenig.

In den Augen der anderen

Denn Before I Fall erzählt keineswegs nur von der üblichen Notwendigk­eit von Toleranz, Selbsterke­nntnis und davon, wie man noch vor dem Highschool­Abschluss ein möglichst guter Mensch wird. Sondern mit einem melancholi­schen, mitunter dunklen Unterton auch sehr klar von den Ängsten, denen man ausgesetzt ist, um schon – oder vor allem – als junger Erwachsene­r angenommen zu werden. Heißt: in den Augen der anderen schlicht zu existieren.

Denselben Tag immer wieder zu erleben, das bedeutet in diesem Alter nämlich auch, sich ununter- brochen exponieren zu müssen. Wenn Samantha versucht, den Ablauf dieses einen Tages zu verändern, stößt sie in erster Linie an soziale Grenzen. Sagt man zum Beispiel einer Freundin endlich die Wahrheit und um welchen Preis? Soll man sich im Leben auf etwas einlassen, von dem man nicht überzeugt ist, aber glaubt, es tun zu müssen?

Mag sein, dass bei der Suche nach einer Antwort die „wahren“Werte und die „echte“Liebe nur im Kino helfen. Dass der Versuch, irgendwann einmal etwas wirklich richtig zu machen, eine einzige Illusion ist, so wie die Vorstellun­g, dass das Leben aus einem Tag bestünde. Das Nachdenken darüber schadet aber auch im richtigen Leben nicht. Ab Donnerstag

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Die Rose des heimlichen Verehrers birgt eine ebensolche Botschaft. Doch ein neues Kleid macht für Zoey Deutch in „Before I Fall“noch keinen neuen Tag.

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