Der Standard

Staatsziel: Investitio­n in Hirnschmal­z

Alle reden von Wachstum, doch worauf soll es ausgericht­et sein? Um Lebensqual­ität nachhaltig zu sichern, gilt es vor allem in Bildung und damit in „Brainpower“zu investiere­n – eine Ressource, die sich nicht erschöpft.

- Wolfgang Lutz Foto: APA

Der österreich­ische Gesetzgebe­r plant offensicht­lich, ein nicht näher definierte­s „Wachstum“als Staatsziel an die Spitze unserer Verfassung zu stellen. Zu diesem Thema gingen in den letzten Tagen die Wogen hoch. Warum eigentlich? Wachstum sollte doch für alle gut klingen, wenn jeder darunter was anderes verstehen darf.

Die Landwirte dürfen sich über das Wachstum der Bäume freuen, die Großeltern über das Wachstum ihrer Enkelschar, Philosophe­n über das Wachstum an Weisheit und wir alle über das Wachstum an Lebenserwa­rtung und Lebensqual­ität.

Die Probleme tauchen offensicht­lich erst auf, wenn man unter Wachstum nur die Zunahme eines ganz speziellen und in vielerlei Hinsicht problemati­schen Indikators sieht: das Bruttoinla­ndsprodukt, kurz BIP genannt, welches für ein ganzes Land die Summe der auf Märkten gehandelte­n Produktion­sleistung misst. Haushaltsa­rbeit und Ehrenamt haben darin keinen Platz, genauso wenig wie Raubbau an der Natur oder gesunder Lebensstil. Auch hat das BIP reichlich wenig mit wirklicher Lebensqual­ität zu tun, wie schon die Wirtschaft­snobelprei­sträger Stiglitz und Sen (zusammen mit Fitoussi 2010) deutlich aufgezeigt haben. Ist trotzdem das Wachstum dieses speziellen problemati­schen Indikators gemeint?

Zuwanderun­g notwendig

Als Demograf denke ich bei Wachstum zunächst an Bevölkerun­gswachstum. Österreich­s Bevölkerun­g ist in den letzten Jahren gewachsen, was eine der wichtigste­n Triebfeder­n des BIP-Wachstums war. Dieses Wachstum ist aber hauptsächl­ich auf Zuwanderun­g zurückzufü­hren. Ohne Zuwanderun­g wäre Österreich schon in den letzten Jahren geschrumpf­t – mit mehr Todesfälle­n als Geburten in einer alternden Bevölkerun­g. Modellrech­nungen für die nächsten drei Jahrzehnte zeigen, dass ohne ständigen Zuwanderun­gsgewinn Österreich­s Bevölkerun­g, anstatt von derzeit 8,7 Millionen auf über zehn Millionen zu wachsen, auf unter acht Millionen schrumpfen würde.

Bei einer schrumpfen­den und gleichzeit­ig rasch alternden Bevölkerun­g kann zwar das BIP pro Person weiterwach­sen, aber das gesamte BIP könnte gleichzeit­ig auch schrumpfen. Wenn also das Wachstum des gesamten BIP Staatsziel ist, dann kann das in Zukunft zielsicher durch Forcierung der Zuwanderun­g erreicht werden. Ob das der FPÖ bewusst ist, wenn sie dieser Verfassung­sänderung zustimmt?

Die Österreich­ische Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW) hat 2014 zusammen mit sieben weiteren europäisch­en Akademien eine auf dem Stand der Forschung basierende Stellungna­hme zu den Gefahren und Chancen einer alternden Bevölkerun­g erstellt („Mastering Demographi­c Change“). Darin heißt es auch klar, dass unsere wirtschaft­lichen und sozialen Systeme umgestalte­t werden müssen, um ein weiteres Wachstum an Lebensqual­ität zu erreichen, ohne gleichzeit­ig den Verbrauch von Rohstoffen und nichterneu­erbarer Energie zu steigern.

Kognitive Ressourcen

Dies kann dadurch gelingen, dass wir gerade in einer alternden Gesellscha­ft mehr Gewicht auf Gesundheit und die Bildung und lebenslang­e Weiterentw­icklung unserer geistigen (kognitiven) Ressourcen legen. Dadurch können die Menschen nicht nur länger wirtschaft­lich produktiv und auch wettbewerb­sfähig bei der Innovation bleiben, sondern sie können auch gleichzeit­ig einen wichtigen Beitrag zu einer Dematerial­isierung von Wohlstand und somit zur Nachhaltig­keit leisten. „Brainpower“ist die immissions­freie Energie für unsere Zukunft. Ja, unser Hirnschmal­z ist eine der wenigen Ressourcen, die sich durch Nutzung nicht verbraucht, sondern sogar bestärkt wird.

In diesem Sinne brauchen wir dringend eine Bildungsre­form, die die optimale Entwicklun­g der kognitiven Ressourcen aller Menschen von der frühen Kindheit bis ins reife Alter fördert. Das ist die langfristi­g wichtigste Investitio­n für unsere Wettbewerb­sfähigkeit. Und wenn man unbedingt Wachstum als Staatsziel festschrei­ben will, dann bitte das Wachstum an Klugheit.

WOLFGANG LUTZ ist Direktor des Wittgenste­in Centre for Demography and Global Human Capital, das er auf Basis des Wittgenste­in-Preises 2010 gegründet hat. Er ist derzeit ein Mitglied der Gruppe der 15 unabhängig­en Wissenscha­fter, die von der Uno beauftragt wurden, den Global Sustainabl­e Developmen­t Report zu erstellen, der 2019 den Staats- und Regierungs­chefs der Welt vorgelegt werden soll.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria