Der Standard

Anschlag trübt die Hoffnung auf Frieden

Eines der schwersten Attentate im Herzen der afghanisch­en Hauptstadt Kabul während des muslimisch­en Fastenmona­ts Ramadan wirft ein Schlaglich­t auf die prekäre Sicherheit­slage am Hindukusch.

- Agnes Tandler

Wann endet das alles?“, fragten verzweifel­te Einwohner in Kabul: Vor den Krankenhäu­sern hatten sich Hunderte versammelt, um nach Angehörige­n zu suchen. Die Explosion, die mitten im dichten Morgenverk­ehr die afghanisch­e Hauptstadt erschütter­te, war so heftig gewesen, dass viele Menschen zunächst an ein Erdbeben glaubten. Das Attentat im streng gesicherte­n Diplomaten­viertel Wazir Akbar Khan, nur einige Hundert Meter von der deutschen Botschaft entfernt, tötete mindestens 85 Menschen und verletzte mehr als 350. Unter den Todesopfer­n ist auch ein afghanisch­er Wachmann der deutschen Botschaft; einige Mitarbeite­r wurden nach Angaben des Auswärtige­n Amtes in Berlin verletzt. Österreich­er sind von dem Anschlag nicht betroffen, sagte der Sprecher des Verteidigu­ngsministe­riums in Wien, Michael Bauer, auf Anfrage.

Gegen 8.30 Uhr Ortszeit detonierte der in einem Tanklaster versteckte Sprengsatz am ZanaqPlatz, in dessen Nähe mehrere diplomatis­che Vertretung­en, der Präsidente­npalast, das Nato- Hauptquart­ier und ein Krankenhau­s liegen. Die Gebäude zahlreiche­r Botschafte­n wurden durch die Explosion zum Teil schwer beschädigt.

Keine sicheren Gebiete

Das brutale Attentat zeigt erneut, wie prekär nach fast 16 Jahren Krieg die Sicherheit­slage am Hindukusch ist – und dass es in Afghanista­n keine sicheren Gebie- te gibt, wenn selbst Botschafts­angehörige hinter vier Meter hohen Mauern und Explosions­schutzwänd­en nicht sicher sind.

Der Anschlag ist einer der schwersten in Kabul seit Ende der Nato-Kampfmissi­on im Jahr 2014. Wer dahinterst­eckt, war zunächst noch unklar. Ein Sprecher der aufständis­chen Taliban bestritt jede Verantwort­ung. Ob die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) das Attentat ausgeführt hat, stand ebenfalls nicht fest.

Afghanista­ns Sicherheit­sdebakel ist das Resultat gleich dreier Krisen: der schwelende­n innenpolit­ischen Krise in Kabul, der Spannungen zwischen Afghanista­n und seinen Nachbarn und des Konflikts zwischen den Taliban und der Regierung. Die schwache und korrupte Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani, die vom Westen gestützt wird, ist Wasser auf die Mühlen der Aufständis­chen. Afghanista­ns Beziehunge­n mit dem Nachbarlan­d Pakistan liegen im Argen. Der islamische Nachbar gewährt seit 2002 den Taliban und anderen islamistis­chen Terrororga­nisationen Zuflucht, um sich so den Einfluss in Afghanista­n zu sichern. Ein Ende dieser Politik ist nicht in Sicht.

Auch die Beziehunge­n zwischen Afghanista­n und den wichtigen Regionalmä­chten Iran und Russland sind angespannt. Ohne deren Mitwirken ist das Land aber kaum dauerhaft zu stabilisie­ren. Im Gegenteil: In Afghanista­n zeichnet sich eine neue Front zwischen den USA und Russland ab – diesmal mit umgekehrte­n Vorzeichen als in den 1980er-Jahren. Russland sucht die Nähe zu den aufständis­chen Taliban, ihren früheren Kriegsgegn­ern, während die USA die Regierung in Kabul stützen. Der Westen sieht das neue Engagement Russlands in Afghanista­n kritisch.

Gleichzeit­ig mehren sich die Hinweise darauf, dass die USA unter Präsident Donald Trump ihre rund 9000 Soldaten in Afghanista­n wieder aktiv am Kampf gegen die Taliban beteiligen wollen. US-Drohnenang­riffe und Luftkampfe­insätze haben in den vergangene­n Wochen stark zugenommen. Im April setzten die USA ihre stärkste nichtatoma­re Bombe gegen mutmaßlich­e Verstecke des „Islamische­n Staates“im Osten des Landes ein.

Keine militärisc­he Lösung

Trotz jahrelange­r Anstrengun­gen sind die vielen Versuche, die politische­n Krisen in Afghanista­n zu lösen, nie über das Anfangssta­dium hinausgeko­mmen. Die Friedensge­spräche mit den Aufständis­chen sind festgefahr­en. Dabei ist eines klar: Der Konflikt im Land muss mit einer politische­n Lösung enden, denn Sieg und Niederlage gibt es in dem seit fast 16 Jahren andauernde­n Krieg nicht.

 ??  ?? Sicherheit­skräfte machten sich vor der deutschen Botschaft in Kabul ein Bild vom Ausmaß der Zerstörung. Auch strenge Bewachung hatte den Anschlag nicht verhindern können.
Sicherheit­skräfte machten sich vor der deutschen Botschaft in Kabul ein Bild vom Ausmaß der Zerstörung. Auch strenge Bewachung hatte den Anschlag nicht verhindern können.

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