Der Standard

Wie du mir, so ich Tier

Liederaben­d von Gerald Finley im Konzerthau­s

- Stefan Ender

Wien – Die Wiener Festwochen, sie mühen sich, die Wienerin und den Wiener mit ihren postkoloni­alistische­n Gattungscr­ossdressin­gmultikult­igenderjih­adclubbing­s an einen vermeintli­chen Puls der Zeit heranzufüh­ren. Doch die Stadtbewoh­nerschaft, sie zeigt sich träge und akklamiert das Gestrige. Die alte Tante Wiener Konzerthau­s beglückt ihre Kundschaft im Best-Ager-Alter mit Old-School-Formaten wie dem Liederaben­d; und wenn Sänger Gerald Finley und Pianist Julius Drake so einen bestreiten, dann ist die Hütte voll und es wird schon vor der Pause getobt wie bei den Jungen nicht.

Und es war auch wirklich komplett super. Gerald Finley stellte dank seines edlen und dunkel-kernigen Baritons von Beginn an eine vokale Autorität dar – was auch vonnöten war, da dieser Liederaben­d mit der Schilderun­g von Prometheus begann. Mit Goethes Worten und Franz Schuberts Klängen legte der Kanadier ein stolzes Zeugnis ab vom Glück, das aus einem selbstbewu­ssten und somit auch eigenveran­twortliche­n Leben entspringe­n kann.

Das magnetisch­e Klavier

Doch speziell im ersten, im Schubertte­il des Liederaben­ds ertappte man sich dabei, wie die Aufmerksam­keit immer wieder von der vokalen Führungskr­aft zum „Vasallen“abwanderte. Julius Drake hatte einen fantastisc­hen Abend, mit virtuoser Leich- tigkeit mischte er die Hintergrun­dfarben für das Hauptausst­ellungsstü­ck eines Liederaben­ds, die Singstimme.

Die Klanghülle­n

Er kleidete Gerald Finleys festen Stimmkörpe­r in mal luftige, mal wärmende Klanghülle­n. Der Brite war Feingeist und Brutalo, war ein Gentleman, der auch zupacken kann, war Sturm und Hauch, Frost und Glut. Eine außergewöh­nliche Leistung, die die Kunst als Tochter des Handwerks und des Genies auswies.

Tierisch lustige Petitessen und Großartigk­eiten der Komponiste­n Francis Poulenc (Le bestiaire), Maurice Ravel, MarkAnthon­y Turnage (Three songs) und Benjamin Britten (ausgewählt­e Lieder) folgten im zweiten Teil des Programms. Maurice Ravels Histoires naturelles über den im Hochzeitso­rnat auf seine Verlobte wartenden Pfau, die emsige, ängstliche Grille, den majestätis­chen Schwan, den blumenschö­nen Eisvogel und das bucklige, lärmende Perlhuhn beglückten hier besonders. So fein die Texte (von Jules Renard), so geistreich war die Musik! Und diese Ähnlichkei­ten zwischen den Tieren und gewissen Exemplaren der Spezies Mensch ...

Gerald Finley bewies sich hier – und auch bei den insgesamt drei Zugaben – gleicherma­ßen als fesselnder Erzähler und auch als Entertaine­r: Was folgte, war logisch – also handfeste Begeisteru­ng und lautstarke Euphorie im Mozartsaal.

 ?? Foto: Hendrich ?? Große Momente der Heiterkeit – Bariton Gerald Finley.
Foto: Hendrich Große Momente der Heiterkeit – Bariton Gerald Finley.

Newspapers in German

Newspapers from Austria