Die Gewalt nimmt zu
Venezuelas Opposition befürchtet ein Abgleiten des Landes in die Diktatur. Am Montag eskalierten die Proteste schließlich.
Durch die Polizei gewaltsam aufgelöste Demonstrationen gehören seit Wochen zum Alltag in Venezuelas Hauptstadt Caracas. In der Nacht zum Dienstag eskalierte die Lage allerdings im Zuge von Protesten gegen den Staatspräsidenten Nicolás Maduro: Vermummte Demonstranten warfen Steine und Molotowcocktails gegen die Fassade des Verwaltungsgebäudes des Obersten Gerichts; diese fing Feuer.
Unmittelbarer Auslöser für den Gewaltausbruch dürfte die Abweisung einer Beschwerde von Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz gegen die Einberufung einer „Verfassungsgebenden Versammlung“gewesen sein. Kritiker des sozialistischen Präsidenten befürchten die endgültige Um- wandlung des Landes in eine Diktatur. Dem Höchstgericht werfen sie seit langem Parteinahme für die regierende Kaste vor und gleichzeitig gezielt gegen das Parlament vorzugehen, in dem die zu Maduro in Opposition stehenden Kräfte die Mehrheit haben.
Dutzende Demonstranten drangen Medienberichten zufolge am Montag (Ortszeit) auch in das vierstöckige Gebäude ein und plünderten sogar Räume einer Bank. Sie holten Computer heraus und setzten sie auf der Straße in Brand. Soldaten und Polizisten setzten unter anderem Tränengas ein, um die Demonstranten zu vertreiben. Diese bewarfen auch das Gebäude des Wohnungsministeriums mit Steinen. Dessen Mitarbeiter waren bereits zuvor wegen der Tränengasschwaden in Sicherheit gebracht worden.
Schon dutzende Tote
In Venezuela gehen seit Wochen fast täglich Tausende auf die Straße, um den Rücktritt des sozialistischen Staatschefs zu fordern. Bei den Protesten wurden bisher mindestens 66 Menschen getötet und mehr als tausend verletzt. Die konservative und rechts- gerichtete Opposition fordert die Amtsenthebung Maduros. Sie macht ihn für die schwere Wirtschaftskrise verantwortlich, die zu dramatischen Versorgungsengpässen geführt hat.
Anfang Mai hatte Maduro angekündigt, eine 500-köpfige „Verfassungsgebende Versammlung“einzuberufen, deren Mitglieder zur Hälfte aus gesellschaftlichen Gruppen wie Gewerkschaften und nicht aus den politischen Parteien stammen sollen. Die Opposition wirft Maduro hingegen vor, die Versammlung mit seinen Anhängern zu besetzen und mithilfe der neuen Verfassung seine Macht zementieren zu wollen.
Generalstaatsanwältin Ortega, die bisher eigentlich dem Regierungslager angehörte, hatte die nun abgewiesene Klage gegen die Verfassungsreform eingereicht. Beobachter werteten ihren Vorstoß als Vermittlungsversuch – andere Stimmen hingegen als Bruch mit Maduros System. Wie auch immer: Die Reaktionen auf Ortegas Verhalten sind teilweise drastisch. So berichtete die Juristin von Drohungen gegen ihre Familie. „Sie belästigen sie, und sie verfolgen sie mit Autos, die nach Sebin-Einheiten (Geheimdienst, Anm.) aussehen.“Sollte ihren Angehörigen etwas passieren, so wisse sie, wer allein dafür verantwortlich sei: die Regierung. (AFP, Reuters, red)