Der Standard

„Regierung nutzt gefälschte Fotos, um zu kriminalis­ieren“

Präsident der Menschenre­chtsorgani­sation Provea, über die immer stärker werdende Repression in Venezuela, die auch Richter korrumpier­t.

- Sandra Weiss aus Caracas RAFAEL UZCATEGUI setzt sich seit Jahren für Menschenre­chte in Venezuela ein. Der Soziologe koordinier­t das Menschenre­chtsprogra­mm Provea. Foto: Provea

Rafael Uzcategui,

INTERVIEW: Standard: Generalsta­atsanwälti­n Luisa Ortega bezeichnet­e unlängst die Demonstrat­ionen als gerechtfer­tigt, die staatliche Repression als überzogen. Wie bewerten Sie das? Uzcategui: Wir sehen das als eine Legitimati­on der Proteste und als eine Aufforderu­ng zur Reinstitut­ionalisier­ung des Landes. Viele Institutio­nen wie der Wahlrat oder der Ombudsmann sind derzeit abhängig von der Regierung. Ortega hat anerkannt, dass es keine Garantien für einen unabhängig­en Prozess gibt, weil viele Demonstran­ten vor Militärger­ichten abgeurteil­t werden. Außerdem hat sie kritisiert, dass Regierungs­funktionär­e das Ergebnis von Ermittlung­en vorwegnehm­en, was das Vertrauen der Bürger in die Justiz beschädigt. In einem konkreten Fall hat sie die Regierungs­these widerlegt, ein Demonstran­t von der Opposition sei erschossen worden. Der junge Mann sei den Ermittlung­en zufolge durch eine von einem Nationalga­rdisten di- rekt auf ihn abgefeuert­e Tränengasp­atrone getötet worden.

Standard: Angefangen haben die Proteste, weil Maduro das Parlament entmachten wollte. Gibt es überhaupt noch einen Rechtsstaa­t? Uzcategui: Die anderen Staatsgewa­lten fallen der Staatsanwä­ltin in den Rücken; sie versuchen, ihre Kompetenze­n zu beschneide­n, zum Beispiel durch die Militärger­ichtsbarke­it oder eine von der Regierung angekündig­te Wahrheitsk­ommission. Das beunruhigt uns sehr, denn das höhlt die Demokratie und den Rechtsstaa­t weiter aus.

Standard: Die Regierung hat gegen die Proteste einen extrem repressive­n Aktionspla­n namens „Zamora“ins Leben gerufen ... Uzcategui: Der Plan Zamora ist aus unserer Sicht ein Plan zur militärisc­hen Besetzung des Staatsgebi­ets mit dem Ziel, Proteste zu verhindern. Das umfasst den Einsatz von Sicherheit­skräften, von Mili- tärgericht­sbarkeit und von bewaffnete­n, regierungs­nahen, paramilitä­rischen Gruppen. Für uns stellt das eine klare Zäsur dar, weg von Demokratie, hin zur Diktatur. Wir dokumentie­ren das alles. Zum Beispiel auch, dass die meisten Richter nicht den Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft folgen. Die Chance, dass die Fälle hier in Venezuela aufgeklärt werden und Gerechtigk­eit waltet, sind momentan sehr gering.

Standard: Die Regierung sagt, die Opposition sei für die Gewalt verantwort­lich ... Uzcategui: Die Generalsta­atsanwälti­n hat eingeräumt, dass die Mehrheit der Demonstran­ten friedlich sind. Wir haben festgestel­lt, dass die Proteste bisher zumeist friedlich verlaufen. Aber sobald die Sicherheit­skräfte die Märsche angreifen, eskaliert die Situation. Es gab einen dokumentie­rten Fall, wo Opposition­elle einen vermeintli­chen Regierungs­anhänger angegriffe­n haben. Aber bis heute existieren weder Fotos noch sonstige Beweise dafür, dass Opposition­elle Waffen mit sich führen. Die Regierung nutzt deshalb gefälschte Fotos, um die Proteste zu kriminalis­ieren.

Standard: Können Sie ungehinder­t arbeiten? Uzcategui: Einige unserer Mitarbeite­r haben Todesdrohu­ngen erhalten, und unsere Organisati­on wird von der Regierung immer wieder als Unterstütz­er terroristi­scher Gruppen diffamiert.

Standard: Abgesehen von den Protesten: Wie sieht die Menschenre­chtsbilanz nach 20 Jahren Sozialismu­s aus? Uzcategui: Es gab zwei Phasen. Zwischen 1999 und 2006 wurden auf Basis der neuen Verfassung zahlreiche Gesetze verabschie­det, die Garantien für die Menschenre­chte enthielten. Außerdem gab es eine aktive Sozialpoli­tik zur Verringeru­ng der Armut, die allerdings nicht die strukturel­len Gründe der Armut anging. Ab 2007 hat sich die Situation aber verschlech­tert, nachdem der inzwischen verstorben­e Präsident Hugo Chávez einen „Sozialismu­s des 21. Jahrhunder­ts“wollte. In dieser Phase wurden Garantien zurückgeno­mmen, hat die politische Diskrimini­erung zugenommen. Die Errungensc­haften lösten sich in Luft auf. Heute lebt etwa die Hälfte der Venezolane­r in Armut.

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