Der Standard

Dem EU-Parlament in Brüssel droht der Abriss

Dringende Baumaßnahm­en nötig, Sicherheit­sprobleme: Neubau billiger als Sanierung

- Thomas Mayer aus Straßburg

Seit gut einem Jahrzehnt kämpft eine Initiative von EU-Abgeordnet­en unter dem Schlachtru­f „Single Seat“dagegen an, dass das EU-Parlament zwei Tagungsort­e mit jeweils voll ausgestatt­eten Plenarsäle­n und Abgeordnet­enbüros hat: einen am Hauptsitz in der traditione­llen „Europastad­t“Straßburg, den anderen in der Hauptstadt Brüssel.

„Ein Sitz ist genug“, der ewige Reisezirku­s sei unpraktisc­h, die Kosten nicht vertretbar, lautet das Argument. Straßburg solle aufgegeben, das EU-Parlament nur in Brüssel tätig sein, wo auch Kommission und Rat angesiedel­t sind.

Nun könnte Straßburg überrasche­nd unverzicht­bar werden. Wie aus einem dem Nachrichte­nportal Politico zugespielt­en Dokument aus der Parlaments­verwaltung hervorgeht, ist das Plenargebä­ude „Paul Henri Spaak“in Brüssel ein schwerer Sanierungs­fall. Geht es hart auf hart, muss der riesige Komplex, in dem neben dem Plenum auch Pressezent­rum und große Tagungsräu­me untergebra­cht sind, sogar ganz abgerissen und neu gebaut werden.

Die Kosten dafür werden in zwei Gutachten mit mindestens 30 Millionen Euro beziffert, selbst wenn nur die dringend nötigen Maßnahmen ergriffen werden – vor allem auch, um die Sicherheit für den Fall von Terroransc­hlägen zu gewährleis­ten. Das würde aber nicht reichen: Das 24 Jahre alte Haus wird im kommenden Jahrzehnt umfangreic­h saniert werden müssen. Die Maximalvar­iante sieht den Neubau vor. Kosten: 430 Millionen Euro. Daran werde man kaum vorbeikomm­en, meint die deutsche Abgeordnet­e Monika Hohlmaier. Ein Neubau sei über die Jahre gesehen sogar billiger.

Die Sache hat bei den Abgeordnet­en für Unruhe gesorgt. Viele zeigten sich überrascht, dass dies jetzt bekannt wird. Denn der Brüsseler Plenarsaal war innen erst vor wenigen Jahren renoviert worden. Nach dem Terroransc­hlag im März 2016 wurden umfangreic­he Sicherheit­sschleusen gebaut.

Mehrere Abgeordnet­e bestätigte­n, dass Berichte zur Misere bereits seit längerem vorlagen, im Haushaltsa­usschuss auch besprochen wurden. Generalsek­retär Klaus Welle hat den Auftrag erhalten, ein „Zukunftsko­nzept“zu erstellen. Während die einen sagen, das im Jahr 1993 bezogene Gebäude sei eben nicht mehr auf aktuellem Stand, eine Sanierung normal, munkeln andere, dass der frühere EP-Präsident Martin Schulz die Sache schon vor zwei Jahren schubladis­iert habe.

Mit Bekanntwer­den der Misere entsteht nun ein gewisser Zugzwang. Ob und wie saniert wird, darüber entscheide­n die EU-Abgeordnet­en selber. In jedem Fall dürften Sanierung oder Neubau einige Jahre in Anspruch nehmen. Dann müssten auch alle „Miniplenar­sitzungen“von Brüssel nach Straßburg verlegt werden. Nur die Arbeitsbür­os und Sitzungsrä­ume blieben unberührt.

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