Der Standard

Vorzug für Vorzugssti­mmen

Erklärunge­n von ÖVP-Kandidaten nicht bindend

- Günther Oswald

Wien – Wegen der direkten Unterstütz­ung der Wähler sitzt derzeit kein Abgeordnet­er im Nationalra­t. Bei der letzten Wahl 2013 schaffte es nämlich kein Einziger der mehr als 2500 Kandidaten, genug Vorzugssti­mmen zu bekommen, um vorgereiht zu werden.

In der ÖVP soll sich das unter Sebastian Kurz künftig ändern. In die neuen Statuten kommt ein Passus, laut dem schon die Hälfte der gesetzlich notwendige­n Vorzugssti­mmen für eine Umreihung reicht. Auf der Bundeslist­e reichen dann 3,5 Prozent der auf die ÖVP entfallend­en gültigen Stimmen, auf den Landeslist­en sind es fünf Prozent und auf den Regionalpa­rteilisten sieben Prozent. Einige Landespart­eien (Steiermark, Burgenland, Niederöste­rreich) wollen die Hürden sogar noch niedriger ansetzen.

Gleichzeit­ig führt die ÖVP ein Reißversch­lusssystem ein, das auch Grüne und SPÖ haben. Es kandidiere­n also abwechseln­d Männer und Frauen. Diese zwei Systeme – Vorzugssti­mmen und Reißversch­luss – können sich natürlich widersprec­hen. Wenn beispielsw­eise vor allem Männer viele Vorzugssti­mmen sammeln können, werden sie auch in Zukunft stärker im ÖVPKlub vertreten sein (aktuell liegt der Frauenante­il bei nur 27,5 Prozent). Denn es gilt: Vorzugssti­mme schlägt Reißversch­luss.

Laut ÖVP müssen alle Kandidaten eine Erklärung abgeben, dass man diese Änderungen akzeptiert und gegebenenf­alls auf das Mandat verzichtet. Rechtlich verbindlic­h ist so etwas aber nicht, da das freie Mandat verfassung­srechtlich abgesicher­t ist. In einem Standardwe­rk zur Erläuterun­g der Bundesverf­assung wird auf ein Erkenntnis des Verfassung­sgerichtsh­ofes zu einer Gemeindera­tswahl von 1970 verwiesen, laut dem Blankoverz­ichtserklä­rungen jederzeit widerrufen werden können. „Die Rechtslage ist so, als ob das Schriftstü­ck (...) nie beim Gemeindeam­t eingelangt wäre“, heißt es. Die Verfassung­sexperten halten fest, dass „derartige Erklärunge­n nicht nur als verfassung­swidrig, sondern als absolut nichtig zu betrachten“seien.

Probleme bei SPÖ

In der SPÖ hat es in der Vergangenh­eit bereits Probleme mit freiwillig­en Regelungen gegeben, die im Widerspruc­h zum freien Mandat standen. Die oberösterr­eichische Abgeordnet­e Sonja Ablinger hätte 2014 gemäß Reißversch­lussprinzi­p ein frei gewordenes Mandat bekommen sollen, der Abgeordnet­e Walter Schopf verzichtet­e aber nicht. Problemlos, allerdings ohne Voraberklä­rungen, funktionie­rt das System bei den Grünen. Sie sind, neben dem Team Stronach, die einzige Partei mit einem 50prozenti­gen Frauenante­il. Die SPÖ kommt derzeit auf 34,6 Prozent, die FPÖ nur auf 15,8 Prozent.

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Foto: APA Sebastian Kurz senkt die Hürden für Vorzugssti­mmen.

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