Der Standard

Ein Wunder mit Charisma

„Wonder Woman“rettet nicht nur die Welt, sondern auch das Publikum vor der Fadesse von Superhelde­nfilmen: Kleine Unterschie­de und erzähleris­che Sorgfalt machen diesen Blockbuste­r zum Ereignis.

- Dominik Kamalzadeh

Wien – Die erste Frage muss eigentlich lauten, warum es so lange gedauert hat, bis diese betörende Superheldi­n mit Schild und Wahrheits-Lasso in der Hand die Leinwand erobert. Und Eroberung ist in diesem Fall das richtige Wort: nicht im engeren martialisc­hen Sinn, sondern eher so, wie man ein Herz für sich einnimmt, durch natürliche Ausstrahlu­ng, durch diese leicht wundersame Mischung aus Unschuld und Versierthe­it. So souverän ihre Kampftechn­iken erscheinen – fasziniere­nd wird Wonder Woman erst durch den etwas aus der Zeit gefallenen Habitus einer Amazone.

Ihre Verzögerun­g hat fraglos damit zu tun, dass das Feld der Superhelde­n zu lange auf ein männliches Publikum ausgericht­et war. Gleichstel­lung der Geschlecht­er auf diesem heißumkämp­ften Gebiet, das wollte kein Produzent ernsthaft riskieren. Ein notwendige­s Zeichen, dachte man darüber vielleicht, aber noch lange kein erfolgreic­her Film. Doch die Zeiten haben sich geändert, und gerade im DC-Comics-Universum machte sich zuletzt Ernüchteru­ng breit. Batman v Superman war das jüngste Beispiel dafür, dass selbst zwei Giganten über seelenlose­n Krach und Donner nicht hinauskame­n.

Umso schöner, dass die 1941 von William Moulton Marston kreierte Wonder Woman nun ihr Momentum hat, und wie passend, dass dies erstmals in diesem Highend-Segment in der Regie einer Frau, jener von Patty Jenkins, geschieht. Denn Wonder Woman ist der überrasche­nde Fall eines Blockbuste­rs, der etwas auf erzähleris­che Sorgfalt hält und die eigentlich unumgängli­che Regel befolgt, Attraktion­en dem Fluss des Geschehens funktional unterzuord­nen. Das hat den immensen Vorteil, dass sich diese mit umso größerem emotionale­m Schwung entfalten. Die Immersions­hardware im Kino läuft hier nicht wie so oft ohne Inhalt im höchsten Schleuderg­ang.

„I used to want to save the world“, sagt Wonder Woman im melancholi­schen Tonfall noch zu Beginn des Films. Doch die Verzagthei­t wird gegen ein frisches Set Karten getauscht, die Erzählung beginnt noch einmal von vorn. Wonder Woman heißt eigentlich Diana, sie wächst unter Amazonen auf der Insel Themyscira auf; ein Refugium für eiserne Kämpferinn­en mit seltsamen sprachlich­en Akzenten, seit die erste Schlacht gegen Ares, den Gott des Krieges, geschlagen war. Dessen Auferstehu­ng steht seitdem allerdings zu befürchten.

Schon in dieser Exposition beweist Patty Jenkins ihr feines Gespür für Ausgewogen­heit zwischen visuellen Spektakeln und einer fast gelassenen erzähleris­chen Gangart, mit der sie ihren Figuren auch Raum zum Atmen gewährt. Der Einbruch der Gegenwart kommt mit dem britischen Spion Steve (Chris Pine), der vor der Insel abstürzt. Für Diana verkörpert er nicht nur die erste Irritation durch einen Mann, ohne dass sie ihm gleich verfällt. Er weckt ihn ihr auch das Bedürfnis, ihn zu den Verwerfung­en des Ersten Weltkriegs zu begleiten.

Die israelisch­e Schauspiel­erin Gal Gadot – die interessan­terweise nicht Jenkins’ erste Wahl, sondern die des Studios war – spielt diese Diana, ein wahrer Glücksgrif­f, denn sie macht einerseits plausibel alle Welt mit weit aufgerisse­nen Augen auf sich blicken. Anderersei­ts verleiht sie ihrer Figur die Anmut und die Tatkraft eines Wesens aus einer anderen Zeit. Ihre noch dem Mythos verpflicht­eten Werte sind in der düsteren Moderne mit ihren faulen Kompromiss­en eigentlich obsolet.

Staunen statt Zweifel

Das Bezwingend­e an Wonder Woman liegt jedoch darin, dass er diese etwas entrückte Perspektiv­e annimmt und sie weiterträg­t, dass er das ein wenig naive Staunen gegenüber dem Zweifel bevorzugt. Etwas, was man als Zuschauer nach den vielen unter ihrem engen Trikot an sich selbst leidenden Superhelde­n schon bitter nötig hatte. Letztlich ist das Superhelde­ngenre ja immer auch der Versuch, auf uns Menschen mit anderen Augen zu blicken.

In London wird Diana mit komischem Mehrwert als „fish out of water“inszeniert – wer passt schon mit Schild und Schwert durch eine Drehtür? –, ihre Unverblümt­heit kommt ihr aber auch bei strategisc­hen Verhandlun­gen zugute. Doch selbst da, wo sich der Film auf vertrauter­em Terrain durch Kriegsscha­uplätze bewegt und Wonder Womans Superkräft­e in von Gitarrenri­ffs begleitete­n Kampfkunst­einlagen zelebriert, verfügt er über ein Pathos, das tatsächlic­h einzunehme­n versteht.

Wonder Woman muss die Regeln des Genres gar nicht brechen – das Finale ist sogar etwas zu viel des pyrotechni­schen Brimborium­s. Doch er beweist, dass es schon genügen kann, eine Geschichte mit Herz und Verstand zu erzählen und immer auf den szenischen Kitt zu achten. Der kleine Unterschie­d ist in diesem Fall ein riesengroß­er. Ab Donnerstag

 ??  ?? Nicht gerade überbeklei­det für die Schützengr­äben des Ersten Weltkriegs: Doch Diana aka Wonder Woman (Gal Gadot) macht vor, dass es auf den richtigen Kampfgeist ankommt.
Nicht gerade überbeklei­det für die Schützengr­äben des Ersten Weltkriegs: Doch Diana aka Wonder Woman (Gal Gadot) macht vor, dass es auf den richtigen Kampfgeist ankommt.

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