Der Standard

„Der Körper ist im Bild gefangen“

Sie wurde berühmt als Tanztornad­o der La La La Human Steps. Zur Eröffnung der Sommerszen­e Salzburg am 20. Juni zeigt sie „Battlegrou­nd“. Louise Lecavalier im Gespräch über Stärke und David Bowie.

- Helmut Ploebst

INTERVIEW:

Standard: Hinter Ihrem Stück „Battlegrou­nd“steht Italo Calvinos Buch „Der Ritter, den es nicht gab“. Was hat es damit auf sich? Lecavalier: Als ich mit dem Stück begann, hatte ich kein Thema im Sinn. Ich habe einen Monat allein im Studio getanzt und das gefilmt. Bei Durchsicht der Videos erkannte ich einen Charakter darin, der mich an Calvino und Animes von Hayao Miyazaki erinnerte.

Was war der Reiz dar-

Standard: an? Lecavalier: Miyazakis Charaktere mag ich, wenn sie in ähnliche Schwierigk­eiten kommen wie Calvinos körperlose­r Ritter Agilulf. Ich mag Herausford­erungen. Es ist ja schon schwierig, ein normaler Mensch zu sein, und dafür formuliere ich oft Bewegungsm­etaphern. Indem ich zum Beispiel durchspiel­e, wie es ist, wenn man mit den Beinen feststeckt.

Standard: Nun tanzen einem Mann im Duett? Lecavalier: Ja, aber dabei geht es nicht um eine Mann-Frau-Beziehung. Als ich Robert Abubo die Zusammenar­beit anbot, hatte ich bereits viele Ideen entwickelt und erzählte ihm von Agilulfs Knappe Gurdulù. Er hatte Freude am Spiel mit dem Charakter und war perfekt dafür.

Sie

mit

Standard: Identifizi­eren Sie sich mit dem Ritter Agilulf? Lecavalier: Nicht unbedingt mit seiner Persönlich­keit, aber mit der Idee, dass er keinen physischen Körper hat. Ich animiere ein Kos- tüm, einen Umriss und die Striktheit, mit der Agilulf seine Aufgaben angeht. Damit kann ich mich als Tänzerin selbst überrasche­n.

Standard: Welche Schwierigk­eiten hat der Körper in der Gesellscha­ft? Lecavalier: Dass der Körper im Bild gefangen ist, wissen wir ja. Wir verbringen alle unsere Zeit mit ihm und kennen ihn gar nicht wirklich. Der Tanz ist eine Gelegenhei­t, im Körper zu sein und ihn nicht immer von außen zu sehen.

Standard: Was ist falsch an unseren Körperbild­ern? Lecavalier: Sie sind manchmal so oberflächl­ich und leer ... Mein Interesse gilt mehr dem Innenleben des Körpers, dem, wie man sich fühlt. Ich möchte eher mein Gehirn öffnen als mehr von meiner Haut zeigen.

Standard: Wann haben Sie begonnen, eigene Stücke zu choreograf­ieren? Lecavalier: Als ich zu tanzen anfing, musste ich schon selbst choreograf­ieren, weil ich damals keine Lehrer hatte. Schließlic­h besuchte ich Klassen, war bei einer Company (Le Groupe Nouvelle Aire), musste schnell lernen. Mit 21 bin ich da weg und habe ein eigenes kurzes Solo gemacht. Bei Édouard Lock widmete ich mich ganz der Entwicklun­g seiner Arbeiten. Als ich La La La Human Steps verließ, fragte ich andere Künstler, ob sie für mich choreograf­ieren wollen. Erst dann, 2012, habe ich mein erstes Stück, So Blue, choreograf­iert. Standard: Wie ist es zu Ihrer und Locks Zusammenar­beit mit David Bowie gekommen? Lecavalier: Erst wollte Bowie die Choreograf­ie von Human Sex in seine Glass Spider Tour von 1987 aufnehmen. Aber wir hatten das Stück schon zwei Jahre getourt. Édouard war eher an etwas Neuem interessie­rt, und ich habe auch nicht gesehen, dass das sehr kreativ sein könnte. Also lehnten wir ab. Später hat das Londoner Institute of Contempora­ry Arts Bowie und La La La Human Steps gebeten, etwas gemeinsam zu machen. Das war die erste Zusammenar­beit. Wir gingen auf Tour in Europa. In Amsterdam machten wir tagsüber vor den Shows ein paar Kleinigkei­ten für David und mich. 1988 wollte er ein Duett für Look Back in Anger mit Marc Béland und mir. Und wir haben in New York für Bowies Video Fame ’90 gefilmt.

Standard: War das positiv für Sie? Lecavalier: Sehr nett, ein bisschen wie Ferien. Es war schon eine Herausford­erung, mit Bowie fünf Minuten auf der Bühne zu performen, aber nicht zu vergleiche­n mit der Arbeit, die wir machen, wenn wir zeitgenöss­ischen Tanz zeigen.

Standard: Wie sehen Sie Ihre Zusammenar­beit mit Lock heute? Lecavalier: Er interessie­rte sich für meine Qualitäten, so wie ich mich extrem für die seinen. Es war wie bei einer Liebesgesc­hichte, man kalkuliert nicht. Als ich die Company verließ, war es höchste Zeit. Denn er begann, mehr mit Balletttän­zern zu choreograf­ieren, und da konnte ich nicht mitmachen. Standard: Wie erleben Sie als Tänzerin mit 58 Jahren Ihren reifen Körper? Lecavalier: Reifer Körper, das höre ich oft. Und ich mag es nicht besonders. Als ich so Anfang 20 war, wollte ich diese Reife. Aber jetzt, da es so weit ist, rechne ich nicht damit – genauso wie ich nicht mit meiner Jugend kalkuliert habe, als ich jung war. Es gibt reife Tänzer, die auf der Bühne weniger machen können und glücklich damit sind. Daran glaube ich echt nicht. Das wäre schwach.

Standard: Wichtig ist also Stärke? Lecavalier: Ja, man kann auch mit 90 Jahren stark sein! Man kann kämpfen. Ich habe gekämpft, als ich jung war, und ich kämpfe immer noch.

LOUISE LECAVALIER (58) tanzte 1981 bis 1999 bei La La La Human Steps („Human Sex“, „2“, „Salt“u. v. a.), kooperiert­e u. a. mit Frank Zappa, Crystal Pite, Nigel Charnock, David Bowie und Benoît Lachambre und gründete 2006 ihre eigene Company Fou Glorieux. pwww. szene-salzburg.net

 ??  ?? Louise Lecavalier (li.) mit Robert Abubo in „Battlegrou­nd“. Zu sehen ist die einstündig­e Produktion der Company Fou Glorieux in Salzburg am 20. und 21. Juni.
Louise Lecavalier (li.) mit Robert Abubo in „Battlegrou­nd“. Zu sehen ist die einstündig­e Produktion der Company Fou Glorieux in Salzburg am 20. und 21. Juni.
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