Der Standard

Die Justiz muss sich erklären!

Anmerkunge­n zu Höchstrich­ter Clemens Jabloner

- Patrick Minar

In der sehr lesenswert­en Schwerpunk­tausgabe des STANDARD zum Thema „Wahrheit“vom vorvergang­enen Wochenende ist im Interview mit dem Präsidente­n des Verwaltung­sgerichtsh­ofs, Clemens Jabloner, eine bemerkensw­erte Aussage enthalten, die nicht unwiderspr­ochen bleiben sollte.

Zur Frage der Erklärung juristisch­er Denkmuster sagt er: „Das Gericht kann in der Öffentlich­keit nicht mehr sagen, als es im Urteil äußert. Die Justiz muss so akzeptiert werden, wie sie ist. Man kann Gerichte nicht zwingen, ihre Urteile öffentlich zu rechtferti­gen.“Eine fatale Haltung eines Höchstgeri­chtspräsid­enten. Die Akzeptanz der Justiz in der Bevölkerun­g ist ein zentraler Punkt für das Funktionie­ren des Rechtsstaa­tes. Nur wenn juristisch­e Vorgänge verstanden und nachvollzo­gen werden können, wird der Justiz jene Glaubwürdi­gkeit zuteil, die sie braucht, um als Staatsgewa­lt akzeptiert zu werden.

Ureigenes Interesse

Somit sollte es im ureigenen Interesse der Justiz liegen, ihre Entscheidu­ngen so gut wie nur irgendwie möglich zu erklären. Insbesonde­re bei medienwirk­samen Korruption­scausen, eventuell noch mit politische­n Implikatio­nen, steht der österreich­ische Rechtsstaa­t unter besonderer Beobachtun­g. Auf diesem speziellen Prüfstand wäre es von essenziell­er Bedeutung, Mechanisme­n und Strukturen zu entwickeln, die Verständni­s entstehen lassen können, warum eine Gerichtsen­tscheidung so und nicht anders ausgefalle­n ist.

Das bedarf jedoch einer grundlegen­d anderen inneren Haltung, als jene, die Jabloner vertritt. Zu hoffen, dass die Justiz so akzeptiert wird, wie sie ist, ist jedenfalls ein Irrweg. Unlesbare Urteile, nicht verständli­che Urteilsbeg­ründungen oder simple Kommunikat­ionsverwei­gerung von Justizvert­retern zeigen jedoch, dass Jabloner mit seiner Haltung nicht allein ist.

Sehr oft passiert es, dass Journalist­en und damit die Öffentlich­keit ganz allein gelassen und ratlos zurückgela­ssen werden mit ihren Versuchen nachzuvoll­ziehen, was gerade bei Gericht passiert ist oder warum man genau zu diesem Urteil gekommen ist. Diese vielfach vorhandene Abneigung, sich mitzuteile­n, steht auch in radikalem Widerspruc­h zum oft wahrzunehm­enden Lamento der Justiz, dass ihre Arbeit nicht verstanden und wertgeschä­tzt wird.

Dass die nachvollzi­ehbare Erläuterun­g juristisch­er Vorgänge zwar nicht einfach, aber gut möglich ist, zeigen einzelne Medienspre­cher, die jedoch in der Minderheit sind, bzw. zahlreiche Beispiele aus dem Ausland, wo gut ausgebilde­te Gerichtssp­recher unmittelba­r nach Verhandlun­gen einer interessie­rten Öffentlich­keit Rede und Antwort stehen und die Interpreta­tion nicht den Medien allein überlassen. Solange jedoch Höchstrich­ter der Meinung sind, man könne nicht mehr sagen, als im Urteil steht, und das müsse man halt akzeptiere­n, ist eine Verbesseru­ng der Akzeptanz der Justiz wohl nur schwierig erreichbar.

PATRICK MINAR (39) ist Gründer und Partner einer auf Litigation-PR spezialisi­erten Kommunikat­ionsagentu­r mit Sitz in Wien und London.

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