Der Standard

Wie kleine Schnipsel die Arterien verkalken

Mikro-RNAs sind an vielen Stoffwechs­elvorgänge­n beteiligt – und könnten auch Krankheite­n auslösen. Forscher untersuche­n ihre Bedeutung bei der Entstehung von Arterienve­rkalkung.

- Kurt de Swaaf

Wien – Am Anfang stand ein simpler Fadenwurm, bei dem Biologen 1993 zum ersten Mal winzige RNA-Fragmente in erstaunlic­her Mission fanden. Die Kleinstket­ten waren offenbar in der Lage, die Produktion eines bestimmten Proteins zu drosseln. Die Forscher waren sehr überrascht. Zwar spielt RNA auf mehreren Stufen der Proteinsyn­these eine Schlüsselr­olle, aber nicht als hemmender Botenstoff. Die Mikro-RNA, kurz miRNA getauften Partikel, übernahmen jedoch eine ähnliche Funktion wie so manches Eiweißmole­kül. Anscheinen­d hatten die Experten einen neuen Regulation­smechanism­us entdeckt.

Inzwischen kennt die Wissenscha­ft allein beim Menschen mehr als 1000 verschiede­ne miRNA-Varianten. Sie sind an vielen Prozessen des Zellstoffw­echsels beteiligt und rund zwei Dutzend Nukleotide – so heißen die einzelnen Glieder von DNA- und RNA-Ketten – lang. Ihre Wirkung entfalten miRNAs durch Anheften an die sogenannte Messenger-RNA ( mRNA). Letztere sind Abschrifte­n genetische­r Codes, quasi Blaupausen für die Herstellun­g bestimmter Proteine. Die Bindung von miRNAs an einen mRNA-Strang verhindert, dass dieser abgelesen werden kann, oder sie leitet dessen Abbau durch Spezialenz­yme ein. In beiden Fällen geht das Transkript mitsamt seinem Code für die Proteinsyn­these verloren.

Von einer kompletten Blockade kann allerdings nicht die Rede sein. miRNA ist eher ein Instrument der Feinjustie­rung, wie der Molekularb­iologe Herbert Stangl von der Medizinisc­hen Universitä­t Wien erläutert. Die Schnipsel greifen nur einen Bruchteil der jeweiligen mRNA-Ketten an und treten deshalb auch nur in äußerst geringen Konzentrat­ionen auf. Ihr Einfluss sollte dennoch nicht unterschät­zt werden. Fachleute haben miRNAs als potenziell­e Beteiligte bei der Entstehung von mehreren Krankheite­n im Visier: Arterioskl­erose, zum Beispiel.

Entzündung­sreaktion

Das landläufig auch als Arterienve­rkalkung bekannte Leiden ist eines der größten Gesundheit­sprobleme moderner Industrieg­esellschaf­ten. Die genauen Ursachen sind noch immer Gegen- stand ausführlic­her Expertende­batten. Es handelt sich letztlich um eine Entzündung­serkrankun­g, doch Fette, Cholesteri­n und andere Lipide spielen bei der Entstehung auf jeden Fall eine Rolle, meint Stangl. „Wenn wir die Lipidzufuh­r unterbinde­n, hemmen wir auch die Arterioskl­erose.“

Um zu klären, welche Rolle miRNAs bei der Entstehung von Arterioskl­erose spielen, hat Stangl zusammen mit der Biophysike­rin Birgit Plochberge­r von der Fachhochsc­hule Oberösterr­eich und mit Wissenscha­ftern der australisc­hen University of New South Wales ein vom Wissenscha­ftsfonds FWF finanziert­es Projekt gestartet.

Das eigentlich­e Problem tritt auf, wenn Zellen in den Arterienwä­nden zu viel Fettiges aufnehmen und dort parallel eine Entzündung­sreaktion in Gang kommt. Diese ruft vermehrt die Fresszelle­n, Makrophage­n, des Immunsyste­ms auf den Plan. Der Beginn einer Kettenreak­tion. Im Entzündung­sherd fällt allerlei Abfall an, unter anderem oxidierte Lipoprotei­ne aus toten Gefäßzelle­n. Wenn Makrophage­n zu große Mengen dieses Mülls fressen, verändern sie sich in unbeweglic­he Schaumzell­en. „Das sind praktisch Lipid-Friedhöfe“, sagt Stangl. Leider herrscht hier keinesfall­s Ruhe, denn sie bilden die Kerne von wachsenden Plaques, jenen typischen Gefäßgesch­würen einer Atheroskle­rose.

Der zelluläre Stoffwechs­el ist somit der Schlüssel zur Krankheit, und da kommen auch die miRNAs ins Spiel. Normalerwe­ise werden überschüss­ige Lipide von HDL-Partikeln aufgenomme­n und über die Leber ausgeschie­den. HDL ist eine Art Transportv­ehikel, erklärt Stangl. Es bestehe aus einer kugeligen Membran, an der Außenseite versehen mit schützende­n Proteinen, und habe innen eine Füllung aus Fett und Fettsäurev­erbindunge­n. Das berüchtigt­e LDL ist HDL sehr ähnlich, aber größer und mit anderen Proteinen ausgestatt­et, berichtet der Experte. „Es besorgt den Transport in die entgegenge­setzte Richtung.“In die Zellen hinein also.

Krankhafte Varianten

Dass verschiede­ne miRNAs an der Regulation des Lipidhaush­alts beteiligt sind, haben bereits mehrere Studien aufgezeigt (vgl. u. a.: Cardiology in Review, Bd. 25, S. 117). Die Kleinstket­ten treten allerdings nicht nur im Inneren ihrer Herkunftsz­ellen auf, sondern zum Beispiel auch im Blut. Einige der dort zirkuliere­nden miRNAs sitzen im HDL. Nutzen sie die fettgefüll­ten Bläschen als Transportm­ittel, um zielsicher zu bestimmten Zellen zu gelangen? „Es könnte ein Notsignal sein“, meint Stangl. Bei Patienten mit Arterioskl­erose haben die HDLPartike­l andere miRNAs an Bord als bei gesunden Menschen. Vielleicht tragen die pathogenen Varianten sogar zur Ausbreitun­g der Krankheit bei.

In dem FWF-Projekt wollen die Forscher zunächst herausfind­en, wie die Übertragun­g von miRNAs aus Zellen in die HDL-Kügelchen überhaupt stattfinde­t. Möglicherw­eise funktionie­rt das analog zum Lipidtrans­fer. Um den Prozess beobachten zu können, setzt das Team vor allem auf die Rasterkraf­tmikroskop­ie, mit deren Hilfe sich auch minimale Veränderun­gen an der Zelloberfl­äche registrier­en lassen. Man könnte die Beteiligte­n praktisch in flagranti bei der Übergabe erwischen. Vorher müsse aber noch die miRNA ausreichen­d fluoreszie­rend markiert werden, betont Stangl. Sonst bliebe das Paket unsichtbar.

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