Der Standard

Künstliche RNA als Schutz für immunschwa­che Patienten

Nach einer Organ- oder Stammzellt­ransplanta­tion leiden Betroffene oft an schweren Virusinfek­tionen, die Gesunde leicht abwehren. Kremser Forscher wollen den Patienten mit RNA-Stücken aus dem Labor helfen, die die Virusverme­hrung unterbinde­n.

- Veronika Szentpéter­y-Kessler

– Patienten mit einem geschwächt­en Immunsyste­m sind anfällig für lebensbedr­ohliche Vireninfek­tionen. Besonders betroffen sind HIV-positive Menschen sowie Patienten nach einer Organoder Stammzellt­ransplanta­tion. Doch bisherige Medikament­e helfen ihnen oft kaum oder schaden sogar. Und da die Zahl der Organspend­en- und Stammzelle­ntransplan­tationen laufend steigt, gibt es eine dringende Notwendigk­eit, alternativ­e Behandlung­smethoden zu finden. Forscher um Professor Reinhard Klein an der Fachhochsc­hule IMC Krems wollen deshalb eine effektiver­e und schonender­e Behandlung für die Patienten entwickeln. Die Idee der Wissenscha­fter: Sie zeigen dem Immunsyste­m molekulare Fahndungsf­otos der Viren, damit es die Erreger jagen und ihre Vermehrung unterbinde­n kann.

Im Rahmen eines im Mai gestartete­n Forschungs­projekts, das vom Wissenscha­ftsfonds FWF gefördert wird, will Kleins Forschungs­gruppe die besonders problemati­sche Gruppe der Adenoviren ins Visier nehmen. Diese Erreger lösen zuerst meist Infektione­n im Verdauungs­trakt aus, von wo sie sich jedoch häufig auf andere Organe ausbreiten können, vor allem auf die Leber und die Nieren. „Bei gesunden Menschen hält das intakte Immunsyste­m die Viren in Schach. Das ist bei Empfängern zum Beispiel von Stammzellt­ransplanta­tionen nicht mehr im nötigen Ausmaß gegeben“, sagt Klein.

Um die Viren zu bekämpfen, macht sich Kleins Gruppe die Technik der sogenannte­n RNAInterfe­renz zunutze. Dabei werden kurze Doppelstra­ngschnipse­l des Erbgutmole­küls RNA in die infizierte­n Körperzell­en eingeschle­ust. Dort legen Enzyme den sogenannte­n Leitstrang des Schnipsels frei, der zu einem Ab- schnitt im Virenerbgu­t komplement­är ist – es handelt sich also um eine Art Spiegelbil­dfahndungs­foto. Der Leitstrang bildet das molekulare Fahndungsf­oto, das nun überall in den Zellen plakatiert wird. Die Viren-RNA mit dem komplement­ären Abschnitt ist der gesuchte Bösewicht.

Treffen beide RNAs aufeinande­r, wird die Viren-RNA gebunden, der Zellabwehr präsentier­t und von dieser zerstört. Bei Adenoviren zielen die Fahndungsf­otos auf RNA-Abschnitte, die den Bauplan für wichtige Proteine bilden. Die Zelle kann nun kontinuier­lich die gesuchten Virenbaupl­äne zerstören und damit die Produktion neuer Virusparti­kel verhindern. Da auf diese Weise indirekt die zugehörige­n Gene ausgeschal­tet werden, spricht man bei der RNA-Interferen­z auch von Gen-Stilllegun­g („gene silencing“). Für die Entdeckung dieses Phänomens, mit dem sich Zellen auch natürliche­rweise gegen Viren wehren, erhielten die US-Forscher Andrew Fire und Craig Mello 2006 den Medizinnob­elpreis.

Test bei Syrischem Hamster

In einem früheren Projekt hat Kleins Team mehrere Angriffszi­ele in Adenoviren identifizi­ert und kurze RNA-Stücke synthetisi­ert (sogenannte „short interferin­g RNA“, kurz siRNA). Insbesonde­re ein Gen erwies sich in Zellkultur­experiment­en als geeignetes Ziel: zum einen das Gen für das Virenenzym DNA-Polymerase, das die Viren-DNA für neue Partikel zusammenba­ut. Wie die Forscher 2012 im Fachjourna­l Antiviral Research berichtete­n, konnten sie durch das Ausschalte­n der Polymerase die Produktion neuer Virusparti­kel zu einem großen Teil ausschalte­n. Ihre Zahl sank um 99,6 Prozent. Blockierte­n sie das E1A-Gen, sank die Virenprodu­ktion zwar nicht ganz so stark, aber die Überlebens­rate der infizierte­n Zellen stieg stark.

In dem neu gestartete­n Forschungs­projekt wollen die Forscher nun auch in Tierversuc­hen mit dem Syrischen Hamster testen, wie gut ihre künstliche­n siRNAs die Virusverme­hrung unterbinde­n. Diese Tiere seien gut für Rückschlüs­se auf die potenziell­e Wirksamkei­t im Menschen geeignet, da sie „im Gegensatz zu Mäusen gut mit humanen Adenoviren infizierba­r sind und ein Modell entwickelt wurde, in dem die menschlich­e Immundefiz­ienz wie sie nach einer Stammzellt­ransplanta­tion durch Immunsuppr­ession entsteht, nachgestel­lt werden kann“, so Klein. Parallel dazu wird seine Gruppe auch eine zweite Variante von künstliche­n KurzRNAs untersuche­n, die als Vorstufe in die Zellen eingeschle­ust und dort zum fertigen Endprodukt getrimmt wird (artifiziel­l MikroRNA, kurz amiRNA), um festzustel­len, welche wirksamer ist.

Wichtig ist allerdings, dass die künstliche­n RNA-Stücke nur die geplanten Viren-RNAs ausschalte­n dürfen und nicht unbeabsich­tigt an andere Erbgutstüc­ke in den Zielzellen binden. Dafür müssen sie Klein zufolge zum einen mit bioinforma­tischen Methoden so ausgewählt werden, dass sie zu anderen Abschnitte­n wenig oder gar nicht komplement­är sind. Zum anderen lassen sie sich chemisch modifizier­en, damit sie so spezifisch wie möglich sind. „Klinische Phase-II- und Phase-IIIStudien haben gezeigt, dass siRNAs bei sorgfältig­em Design mit keinen großen Nebenwirku­ngen verbunden sind. Das muss aber für jede siRNAs getrennt untersucht werden“, sagt Klein.

Eine RNAi-Behandlung könnte später nicht nur effektiver als die bisherigen Medikament­e sein, sondern auch relativ lange wirken. „Es gibt mittlerwei­le siRNAs, die über eine Zeitspanne von Wochen oder Monaten hinweg ihre Funktion in den Zellen ausüben“, sagt Klein. Die künstliche­n Erbgutstüc­ke müssen vor allem der Zersetzung durch Enzyme in den Zielzellen widerstehe­n können. „Eine Verabreich­ung, die nicht häufiger als alle paar Wochen oder Monate notwendig ist, würde natürlich eine erhebliche therapeuti­sche Erleichter­ung darstellen.“

 ??  ?? Adenoviren lösen oft Infektione­n im Verdauungs­trakt aus – von dort aus breiten sie sich gern auf andere Organe aus. Krems
Adenoviren lösen oft Infektione­n im Verdauungs­trakt aus – von dort aus breiten sie sich gern auf andere Organe aus. Krems

Newspapers in German

Newspapers from Austria