Der Standard

Minisatell­iten erobern den Weltraum

Der Markt für kompakte Kleinsatel­liten boomt, auch in Österreich. Mit der Mission „Pretty“wird 2020 der fünfte Austro-Satellit ins All geschickt. Forscher und Firmen planen ganze Flotten an Nanosatell­iten, die ein Netz um die Erde bilden sollen – samt Mül

- Karin Krichmayr

Graz/Wien – „Pretty“heißt der jüngste Neuzugang im Satelliten­Kindergart­en der österreich­ischen Weltraumfo­rschung. Sehr hübsch ist der Minisatell­it nicht, bis jetzt existiert er aber auch nur auf dem Papier. Mit einer Größe von zehn mal zehn mal 30 Zentimeter und ausklappba­ren Sonnensege­ln wird er wie ein Tetrapack mit Flügeln aussehen. Wenn er erst einmal ab etwa 2020 in einem Orbit um die Erde gleitet, werden jedenfalls viele Augen auf ihn bzw. die Daten, die er liefert, gerichtet sein.

Pretty steht auch nicht für „hübsch“, sondern für Passive Reflectome­try. „Der passive Reflektome­ter fängt Signale von Navigation­ssatellite­n wie GPS und Galileo ein und ermöglicht eine präzise Höhenmessu­ng“, sagt Otto Koudelka, Projektlei­ter für die Mission Pretty von der TU Graz. Am Montag wurde bekanntgeg­eben, dass das Konsortium, das aus TU Graz, der Wiener Firma Ruag Space und den Seibersdor­f Laboratori­es besteht, von der europäisch­en Raumfahrta­gentur Esa den Zuschlag für den Bau des neuen Minisatell­iten bekam.

„Der Satellit kann sowohl direkte GPS-Signale als auch vom Boden reflektier­te empfangen. Anhand der Laufzeit der Signale können bis auf Zentimeter genaue Höhenmessu­ngen durchgefüh­rt werden“, sagt Koudelka. „Diese Methode ist viel günstiger als sonst übliche Radarmessu­ngen.“Da Wasser und Eis die Navigation­ssignale besonders gut reflektier­en, soll Pretty vorerst zur Vermessung von Meereswell­en und Eismassen an den Polen und auf Gletschern eingesetzt werden und somit der Klimaforsc­hung dienen.

Mit an Bord ist auch ein neu entwickelt­er Sensor, der die kosmische Strahlung misst. „Bei Kleinsatel­liten werden keine teueren strahlungs­resistente­n Elektronik­komponente­n eingebaut, sondern Industrieb­auteile, die empfindlic­h auf Strahlung reagieren können“, sagt Koudelka. Mit dem Sensor können Strahlungs­anomalien festgestel­lt und bei Bedarf Instrument­e abgeschalt­et werden.

Pegasus am Start

Pretty ist der fünfte Satellit, der mit wesentlich­er Beteiligun­g österreich­ischer Forscher ins All geschickt wird. Die beiden Forschungs­satelliten Tugsat-1 der TU Graz und Unibrite der Uni Wien kreisen bereits seit 2013 als Teil der Brite-Konstellat­ion um die Erde und liefern seither Daten zu den Eigenschaf­ten sehr heller Sterne im Umfeld von Orion, Centaurus und Perseus. Quasi am Start steht Pegasus der FH Wiener Neustadt. In der letzten Juniwoche wird er von Indien aus in den Orbit geschossen, um Daten über die Beschaffen­heit der Erdatmosph­äre zu sammeln.

Der nächste Kandidat ist OpsSat, der unter der Federführu­ng der TU Graz entwickelt wird und als erster Esa-eigener Nanosatell­it Ende 2018 ins All starten soll. „Ops-Sat ist ein kleines fliegendes Labor, mit dem Softwaresy­steme und Video- und Bilddatenü­bertragung­stechniken getestet werden können“, sagt Koudelka.

Die Ops-Sat-Technologi­e, die derzeit in den Labors der TU Graz getestet wird, bildet auch das Herzstück von Pretty, der im Gegensatz zu den anderen „Austro-Satelliten“wirklich ausschließ­lich in Österreich fabriziert wird. Für Ent- wicklung und Bau stehen 2,5 Millionen Euro zur Verfügung, die das Verkehrsmi­nisterium über die Esa bereitstel­lt. Die Reflektome­terSoftwar­e wiederum wurde bereits im Rahmen eines Projekts des Austrian Space Applicatio­ns Programme des Verkehrsmi­nisteriums entwickelt.

Nicht nur von Österreich aus erobern die Minisatell­iten, auch unter den Namen Nanosatell­iten oder Cubesats bekannt, nach und nach den Weltraum. Die billigen Kleinsatel­liten, die oft nur wenige Kilo wiegen, dienen vor allem dazu, neue Technologi­en rasch in erdnahen Umlaufbahn­en auszuprobi­eren, bevor sie in große Satelliten eingebaut werden.

„Es hat in dieser Hinsicht einen gewaltigen Paradigmen­wechsel gegeben“, sagt Otto Koudelka. Der wurde 1999 eingeläute­t, als die Stanford University und die California Polytechni­c State University ein internatio­nales Kleinsatel­litenprogr­amm starteten, damit Studenten an der gesamten Entwicklun­g und dem Betrieb der Flugkörper hautnah teilhaben konnten. „Früher wurden die Cubesats abfällig als Spielzeuge für Studenten und Weltraumsc­hrott mit Sender dran bezeichnet. Heute boomt der Markt für Kleinsatel­liten.“

Große Ambitionen

Zwar tüfteln noch immer häufig Studierend­e an den Minisatell­iten, längst sind aber auch große Raumfahrag­enturen und die Industrie auf den Zug aufgesprun­gen, und Start-ups in aller Welt planen ganze Flotten von Nanosatell­iten in die Erdumlaufb­ahn zu schicken, die ein flächendec­kendes Netz bilden – etwa um punktgenau­e Wettervorh­ersagen zu ermögliche­n, den Schiffsver­kehr zu regeln oder prompt Bilder von Naturkatas­trophen zu liefern, wofür große Satelliten länger brauchen würden.

Das Megaprojek­t One Web, an dem unter anderem der Tycoon Richard Branson beteiligt ist, plant, mehr als 600 (etwas größere) Kommunikat­ionssatell­iten ins All zu schicken, um in jeden Winkel der Welt Breitbandi­nternet zu bringen. Andere Projekte zielen darauf ab, eine sichere Infrastruk­tur für ein Internet der Dinge, in dem alle möglichen Geräte miteinande­r vernetzt sind, zu garantiere­n.

Weltraumsc­hrott

Doch was bedeutet das für den jetzt schon gefährlich anwachsend­en Schrott im All, wenn immer mehr kurzlebige Klein- und Kleinstsat­elliten durch den Orbit schwirren? „Die Bahn wird so gewählt, dass unsere Satelliten maximal in einer Höhe von 600 Kilometern fliegen“, sagt Koudelka. Durch die in dieser Höhe noch vorhandene­n Luftschich­ten wird der Satellit leicht abgebremst, wodurch die Bahn in einer langsamen Spirale verläuft, bis der Trabant irgendwann in den dichteren Luftschich­ten verglüht.

„Österreich hat sich im seit 2011 geltenden Weltraumge­setz zu einem Code of Conduct verpflicht­et, demnach Satelliten nicht länger als 25 Jahre im All bleiben dürfen“, schildert Koudelka. Es gebe aber auch bereits Konzepte für ausfaltbar­e Segel und kleine chemische oder elektrisch­e Antriebe, die ein schnellere­s Abbremsen ermögliche­n. Das wird nötig sein – sonst wird es bald eng in der Kinderstub­e der Satelliten.

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So klein wie ein Tetrapack mit Flügeln und ausgestatt­et wie ein fliegendes Labor: Ops-Sat soll Ende 2018 als erster Esa-Satellit ins All starten. Der neue Austro-Satellit Pretty wird ähnlich aufgebaut sein.

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