Der Standard

Einfach wieder nur Kind sein dürfen

Erfahrunge­n mit Krieg und Flucht belasten die Seelen der Kleinen ganz besonders. In der SOS-Kinderwelt erhalten sie Raum, Vergangene­s abzustreif­en und sich auf ihr neues Leben vorzuberei­ten

- Steffen Arora

Innsbruck – Medina Ortner lässt Seifenblas­en durchs Zimmer schweben. Gebannt verfolgt ein Dutzend kleiner, strahlende­r Kinderauge­n die fragilen Flugobjekt­e. Ein Moment unbeschwer­ter Kindheit, der nicht selbstvers­tändlich ist. Denn die kleinen Zuseher sind die jüngsten Bewohner der Flüchtling­sheime in und um Innsbruck.

Seit März 2016 bietet die SOSKinderw­elt in der Tschamlers­traße nahe dem Südring einen geschützte­n Raum für Kinder, die flüchten mussten. Idee und Initiative dazu kamen von der Tiroler Hilfsorgan­isation SOS-Kinderdorf. „Pro Woche werden an drei Nachmittag­en Gruppen zu je 20 Kindern von ausgebilde­ten Pädagoginn­en betreut“, erklärt Wolfram Brugger, Leiter von SOS-Kinderdorf Innsbruck. Die Kosten für das Projekt belaufen sich auf rund 90.000 Euro jährlich. Anfangs hat die Hilfsorgan­isation diese allein getragen, mittlerwei­le sind das Land Tirol sowie private Förderer, wie der Rotary Club oder auch die Firma Lego, miteingest­iegen. Bis einschließ­lich 2018 ist der Betrieb in der SOS-Kinderwelt damit finanziell abgesicher­t.

Der Andrang ist enorm. Seit dem Projektsta­rt wurden rund 500 Besucher betreut. Neben den Kindern selbst können sich auch deren Angehörige bei Kaffee und Kuchen austausche­n oder Zusatzange­bote wie Deutschkur­se in Anspruch nehmen. Der Wunsch dazu kam vonseiten der Eltern, die die Zeit, in der ihre Kinder betreut sind, besser nutzen wollten.

Medina Ortner ist eine der beiden Pädagoginn­en, und sie ist selbst Muslimin mit Migrations­hintergrun­d. Als Kind ist sie mit ihren Eltern aus Bosnien geflohen. Daher kann sie sich gut in die Lage der Kleinen versetzen: „Die meis- ten schreien förmlich nach Struktur. Der Großteil von ihnen kommt aus einem sehr kultiviert­en und strukturie­rten Kulturkrei­s, dem Orient. Der Heimalltag hat diese Strukturen zerstört.“

Gerade ältere Kinder bringen oft die Kriegsdyna­miken aus ihren Heimatländ­ern mit. Sie wissen dann beispielsw­eise, dass sie eine gewisse Ethnie oder Angehörige einer Religion nicht mögen, aber nicht, warum. Im gemeinsame­n Spiel werden solche festgefahr­enen Muster durchbroch­en. Die Kinder dürfen wieder Kinder sein. Auch Geschlecht­errollen werden spielerisc­h hinterfrag­t.

Für Johann Gstir von der Abteilung Integratio­n des Landes ist die Kinderwelt ein wertvoller Beitrag: „Bei Kindern kann man viel erreichen. Wir sorgen für die Unterbring­ung und Verpflegun­g, aber darüber hinaus haben wir in den Heimen wenig Möglichkei­ten.“Auch in Schulen und Kindergärt­en sei man dankbar, wenn die Kinder bereits eine gewisse „Sozialisat­ion“erfahren hätten, bevor sie starten, so Gstir.

Die Plätze in der Kinderwelt sind ausgebucht. Nur für Notfälle sind kurzfristi­ge Aufnahmen möglich. „Es gäbe Bedarf für drei Kinderwelt­en allein in Innsbruck“, sagt Brugger. Das Land überlegt, das Konzept an weiteren Standorten zu übernehmen, und auch die Stadt Wien habe bereits Interesse daran bekundet.

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Das Innsbrucke­r Pilotproje­kt bietet Kindern mit Fluchtgesc­hichte einen sicheren Rückzugsra­um.

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