Der Standard

Wellness am Hafen, Dystopie in der Eishalle

Nur alle zehn Jahre finden die „Skulptur Projekte Münster“statt und machen die Stadt in Nordrhein-Westfalen zum großangele­gten Schauplatz für Kunst im öffentlich­en Raum. Jedenfalls Documenta-Besucher sollten hinfahren.

- Roman Gerold aus Münster

In Münster wird heuer übers Wasser gewandelt, und zwar in Massen. Im lauschigen Binnenhafe­n versammeln sich Menschen, um zwischen den Kais dahinzuwat­en. Nicht der Glaube macht’s jedoch möglich, sondern Container, die hier versenkt wurden. Ein Tourismusg­ag? Keineswegs. Es handelt sich um eine Arbeit der Künstlerin Ayşe Erkmen namens On Water, die Teil der Skulptur Projekte Münster ist.

Nur alle zehn Jahre findet die Großausste­llung für Kunst im öffentlich­en Raum statt und macht die nordrhein-westfälisc­he Stadt zum Anziehungs­punkt für internatio­nales Kunstpubli­kum. Über ganz Münster verteilen sich dann Interventi­onen, 35 sind es 2017. In einen Park im Süden stellte Hreinn Friðfinnss­on ein Stahlgerüs­t in Häuschenfo­rm; im Norden macht Pierre Huyghe eine Eishalle zur Monumental­skulptur.

Dazwischen liegt ein breites Spektrum von Arbeiten, für deren Genuss man nur eins nicht sein sollte: pingelig mit der Definition des Begriffs Skulptur. Tatsächlic­h bauen viele Arbeiten auf Videos oder sind Performanc­es, etwa Alexandra Piricis Tanzstück Leaking Territorie­s im Friedenssa­al des historisch­en Rathauses.

Gemein ist den Beiträgen dabei eine gewisse Niedrigsch­welligkeit, die (großteils) ihrer Substanz nicht schadet. Das kann zunächst irritieren, etwa im Hafen: Dass Erkmen hier danach fragen will, wie Grenzen gezogen respektive aufgelöst werden, wirkte beim Vor-Ort-Besuch nicht so zentral wie die Tatsache, dass man hier eben die Füße ins Wasser halten kann (und wie das Problem, dass man just in der „Fahrradsta­dt“Deutschlan­ds laut Verbotssch­ild nicht mit dem Drahtesel übers Wasser darf – Teufel!).

Kunst mit Eventchara­kter

Ja, der „Eventchara­kter“und die Liebe, die die Münsterane­r nunmehr zu „ihren Skulpturen“entwickelt haben, ist unverkennb­ar. Und ja, bisweilen beschleich­t einen das Gefühl, dass hier Missverstä­ndnisse vorliegen. Aber erstens will eine Interventi­on wie On Water freilich über Münster hinausweis­en, und anderersei­ts fragt man sich dann auch: Was ist eigentlich schlecht daran, die Füße ins Wasser zu halten? Die „neuen Perspektiv­en auf Gewohntes“können sich ja immer noch ergeben. Und ob offensicht­liche Anspielung­en Erkmens auf den ausgeprägt­en Katholizis­mus in der Stadt wirklich so triftig sind, bleibe überdies auch dahingeste­llt.

Dem, der gerade von der Documenta kommt, bieten die Skulptur Projekte eine wohltuende Alternativ­e. War man in Kassel durchaus aufdringli­cher politische­r Rhetorik ausgesetzt, so spürt man in Münster das Vertrauen der Kuratoren Marianne Wagner, Britta Peters und Kaspar König, dass Kunst auch dort politisch werden kann, wo sie nicht mit den direkteste­n Bildern, sondern ein bisschen, nun, friedliche­r, operiert.

Im Vordergrun­d scheint zunächst einmal etwa das Schaffen von Atmosphäre­n zu stehen. Ein Beispiel hiefür ist oben erwähnte Eishalle: Pierre Huyghe schnitt aus jener Betonfläch­e, auf der einst eisgelaufe­n wurde, etwas, das wie eine riesige archäologi­sche Ausgrabung­sstätte anmutet. Einzelne, akkurat zugeschnit­tene „Inseln“ließ er stehen, ansonsten legte er das Erdreich frei, lässt Besucher nun in dieser Tiefe wandeln. Und nicht nur sie.

Der Künstler bevölkerte seine Indoor-Dystopie zudem mit allerlei Lebewesen: Einen Bienenstoc­k gibt es da, in Lacken pflanzen sich Bakterien fort, in einem (nicht einsehbare­n) Behälter sollen menschlich­e Krebszelle­n wuchern. Dass deren Bewegung gemessen und gewonnene Daten das Öffnen und Schließen der Dachfenste­r steuern, ist ein bisschen viel des Guten. Und dennoch lässt man sich gerne in die rätselhaft­e Erzählung hineinzieh­en, die diese urbane, an die sezierten Gebäude Gordon Matta-Clarks erinnernde Ausgrabung­sstätte durchweht.

Unter der Haut

Setzt Huyghe auf eine Art des „Erhabenen“, so baut Nicole Eisenman auf Witz. Die Amerikaner­in entwarf für einen Brunnen an der Ringpromen­ade ein Figurenens­emble, das Anmut und Würde deutlich entsagt. Erschlafft lungern comichaft deformiert­e Gipsund Bronzefigu­ren ums Wasser herum, wollen so gar nicht brunnentau­glich sein. So tröpfelt einer zum Himmel schauenden Figur die „Fontäne“schon beim Unterschen­kel heraus.

Zu den sehenswert­en Arbeiten zählt aber auch eine Skulptur Justin Matherlys, die jenem Felsen nachempfun­den ist, angesichts dessen Nietzsche zur Idee der ewigen Wiederkehr gefunden haben soll – gar unmonument­al auf Krücken platziert. Und nicht versäumen sollte man Gregor Schneiders Wohnungsin­stallation im Museum der Stadt, deren Konzept man sich vorher lieber nicht durchlesen sollte, will man zumindest einen kurzen Moment der Irritation erleben.

Eine besondere Antwort auf die Frage, was hier (noch) „unter die Haut“gehen könnte, fand indes auch Michael Smith: Der USAmerikan­er installier­te ein Tätowierst­udio, in dem Menschen ab 65 Jahren Ermäßigung bekommen – eine Anspielung nicht zuletzt auch auf die Altersstru­ktur der Stadt. Bis 1. 10.

 ??  ?? Die Schwäne (nicht im Bild) müssen teilweise ein bisschen warten, während in Münster gewatet wird. „On Water“heißt diese Installati­on von Ayşe Erkmen für die „Skulptur Projekte“2017.
Die Schwäne (nicht im Bild) müssen teilweise ein bisschen warten, während in Münster gewatet wird. „On Water“heißt diese Installati­on von Ayşe Erkmen für die „Skulptur Projekte“2017.

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