Der Standard

Ausweitung der Komfortzon­e

Die Wiener Philharmon­iker beschließe­n unter Mariss Jansons ihre Abokonzert­e

- Stefan Ender

Wien – Nun haben sie ihre Dirigate also alle absolviert, die Herren Mehta und Muti, Barenboim und Bychkov, Thielemann, WelserMöst und Adam Fischer. Jungspund Andrís Nelsons zählte auch zum erlauchten Kreis der Dirigenten der Abonnement­konzerte, und auf seine alten Tage – er feiert im Juli seinen neunzigste­n Geburtstag – haben die Wiener Philharmon­iker auch die Qualitäten von Herbert Blomstedt entdeckt.

Ravels La Mer glitzerte, Smetanas Schilderun­g seines Vaterlande­s erklang, genauso wie Symphonien der Herren Beethoven, Brahms und Bruckner, von Schubert und von Mozart, sowie beliebte Tondichtun­gen von Richard Strauss. Mit Musik von zeitgenöss­ischen Komponiste­n hielt man es wie mit der Verpflicht­ung von Dirigenten unter 50 (von Dirigentin­nen ganz zu schweigen): soll vorkommen, aber bitte nicht allzu oft.

Auch das Dirigat von Mariss Jansons beim letzten Abokonzert wurde zu einem Besuch in einer Wohlfühloa­se, einer Komfortzon­e, einem Musikmuseu­m; ein Besuch, der beglückte, wenn auch ein Mangel an Welthaltig­keit drastische­r und verstörend­er Art festzustel­len war. Im Kopfsatz von Dvořáks achter Symphonie folgte auf Vogelgezwi­tscher ein wenig Durchführu­ngsdrama und finaler Fugato-Ernst. Im Adagio mit seinen oft unbeschwer­ten Tändeleien wurden die Übergänge zu den von Jansons am spannendst­en ge- stalteten Momenten. Wundervoll das Ineinander von Glück und Wehmut im dritten Satz, blockartig­es Nebeneinan­der von zarter Lyrik (die Celli) und heldischem Rummsassa-Pathos im Finalsatz.

Die Philharmon­iker agierten wie ein Luxusautom­obil: weich abgefedert bei allen Tempo- und Stimmungsw­echseln. Bei Tod und Verklärung wären bei den dramatisch­en Höhepunkte­n mehr Schärfe und Dringlichk­eit, mehr Kanten, mehr Wucht möglich gewesen. Die ersten Geigen agierten bei den euphorisch­en Passagen mit philharmon­ischer Zurückhalt­ung – da bringen sich die Kollegen von den deutschen Spitzenorc­hestern deutlich intensiver in das Spielgesch­ehen ein. So war Strauss’ malerische Schilderun­g eines Todeskampf­es nur in einer sehr guten, aber in keiner außergewöh­nlichen Interpreta­tion zu erleben.

Doch bei der zweiten Feuervogel- Ballettsui­te von Igor Strawinsky blieben fast keine Wünsche mehr offen. In Sachen der verzaubern­den Effekthasc­herei konnte man den Russen hier als legitimen Nachfolger des vitalen bayerische­n Stimmungsm­achers erkennen, wundervoll auch die schillernd­e Instrument­ierung des Märchensto­ffs. Und so stellten sich beim Tanz des Feuervogel­s und beim hypnotisch­en Wiegenlied ultimative­r Gefühlszau­ber und Klangmagie ein und mit ihnen das besänftige­nde Bewusstsei­n, was für ein Mittel zwischen Wunderwerk und Kulturgut die Wiener Philharmon­iker doch darstellen. Beglückter Applaus.

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Unter der Leitung von Mariss Jansons bestätigte­n die Wiener Philharmon­iker immerhin zeitweise, warum sie als unverzicht­bares Kulturgut anzusehen und -zuhören sind.

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