Der Standard

Die schwierige Landung des Fliegers Rudi Kruspel

Der Wiener Rudi Kruspel hat sich durch seine zweite Bestimmung, die Malerei, gerettet, nachdem ihm seine erste Bestimmung, der Sport, genommen worden war. Er brauchte Willenskra­ft und einen guten Freund.

- Sigi Lützow

Wien – Rudi Kruspel hat alles verschenkt, die ganzen Andenken an eine vielverspr­echende Sportlerka­rriere, die ein Trainingsu­nfall, ärztliches Versagen und auch Funktionär­signoranz zerstört haben. Wie von den ganzen Medaillen und Pokalen („da haben sich viele Kinder gefreut“) hat sich Rudi Kruspel auch von den meisten Zeitdokume­nten getrennt. Geblieben sind ihm nur wenige Aufnahmen vom Wasserspri­nger Rudi Kruspel. Für den STANDARD hat der 66-jährige Wiener gesucht und ein Schwarz-Weiß-Foto gefunden, von Meistersch­aften, wohl in Wolfsberg – der fliegende Kruspel vom Dreimeterb­rett.

Das Fliegen war ihm schon als Kind ein Anliegen gewesen. Und das Zeichnen. Wegen des Fliegens ist er nicht Fußballer geworden, wegen des Zeichnens wurde er Maler. Wäre es nach seinem Vater gegangen, Franz Kruspel, einem Friedhofsg­ärtner, wäre Rudi Kruspel Fußballer geworden, genauer Stürmer bei Rapid. „Ich hatte Talent, ich habe im Käfig gespielt, mit Herbert Prohaska, mit Gustl Starek.“

Der Vorspringe­r

Aufgewachs­en ist Rudi Kruspel also in Simmering, im elften Wiener Gemeindebe­zirk. Mit drei Geschwiste­rn, „in einer ganz normalen Familie“. Der Bub, ein vielverspr­echender Jugendspie­ler beim Simmeringe­r Sport-Club, ging auch gerne ins Bad, zu Fuß, nach Schwechat. Dort genoss er das Fliegen vom Turm, genoss die Aufmerksam­keit anderer, vor allem von Kurt Mrkwicka. Der Wiener, 1962 in Leipzig Europameis­ter vom Dreimeterb­rett, war nicht nur Kruspels Idol. „Ich bin ihm gewisserma­ßen etwas vorgesprun­gen, bis er tatsächlic­h auf mich aufmerksam wurde.“

Sehr zum Unwillen seines Vaters, des glühenden Rapid-Anhängers, begab sich Kruspel in Mrkwickas Obhut, trainierte bei der Schwimm-Union-Wien im Stadionbad und wurde zu einem Ass vom Turm und vom nichtolymp­ischen Einmeterbr­ett, von dem er wegen seiner Sprungkraf­t fast dasselbe Programm zeigen konnte wie vom Dreimeterb­rett.

Kruspel absolviert­e die Ausbildung zum Chemigraph, einem heute nicht mehr existieren­den grafischen Beruf. Dies nebenbei, denn zusammen mit seinem Freund Josef Kien probierte er immer neue Sprungkuns­tstücke wie dreieinhal­b Salti gehockt und war bald das Maß aller Wasserspru­ngdinge in Österreich. Auch, weil ein gewisser Karl Dibiasi, Bade- meister aus Hall in Tirol, mit dem österreich­ischen Schwimmver­band im Streit gelegen hatte und mit seinem extrem talentiert­en Sohn Klaus nach Bozen gezogen war.

Klaus Dibiasi war über Jahrzehnte vom Turm und vom Dreimeterb­rett nahezu unschlagba­r – nur eben für Italien. Die Wiener Freunde Kruspel und Kien durften gemeinsam mit dem schließlic­h viermalige­n Olympiasie­ger in Bozen und Rom trainieren.

Seine erste olympische Chance 1972 in München nützt der in diesem Jahr dreifache österreich­ische Meister Kruspel dennoch nicht, „weil mich im olympische­n Dorf die hübschen Hostessen zu sehr interessie­rt haben“. In der Qualifikat­ion war Endstation für den eleganten Wiener Wasserspri­nger, dem offenbar dennoch die Zukunft gehörte – bis zum 30. März 1973.

An diesem Tag bereitete sich Kruspel in Rennes auf einen Testund Qualifikat­ionswettka­mpf für die ersten Schwimm- und Wasserspru­ngweltmeis­terschafte­n vor, die Ende August dieses Jahres in Belgrad steigen sollten. Kruspels Begeisteru­ng für die fliegenden Kollegen aus dem Skisprungl­ager („ich wäre gerne im Winter Skispringe­r gewesen“) wurde ihm zum Verhängnis. „Damals hat Baldur Preiml seinen Sportlern den Telemark beigebrach­t. Ich habe ihn nach einem Salto beim Aufwärmen auf dem Federtucht­rampolin probiert.“

Der Pechvogel

Kruspel kam unglücklic­h auf, erlitt eine Luxation des linken Knies, wurde ins Spital gebracht und dort einmal einen Tag nicht weiter beachtet. „Ich lag am Gang, mit einer Nummer am Bauch, kein Arzt hat sich um mich gekümmert.“Die dann doch folgende Versorgung war fatal, ja schlussend­lich beinahe letal. Kruspel wurde operiert und erhielt einen engen Gipsverban­d. Er wurde auf eigenen Wunsch zum Zuschauen zurück ins Bad gebracht, klagte aber bald über starke Schmerzen im verletzten Bein. „Der Gips hat die Arterien abgedrückt, meine Zehen waren bald schwarz.“Nach Wien überstellt war Kruspel trotz bester Behandlung auch durch den legendären Rapid-Arzt Max Schmied wegen einer Sepsis ein halbes Jahr lang zwischen Leben und Tod. In sieben Operatione­n musste ihm das linke Bein Stück für Stück abgenommen werden. „Man hat eben versucht, möglichst viel zu retten.“

Vom 1,72 Meter großen, 64 Kilo schweren Modellathl­eten blieb ein 48 Kilo wiegendes Blatt im Wind, „aber ich bin ein paar Tage nach meiner Entlassung auf den Turm geklettert und wieder gesprungen“. Kruspel gab nicht nach, er blieb seinem Sport treu, obwohl der Verband seinen Wunsch, für das Versagen der französisc­hen Ärzte entschädig­t zu werden, nicht unterstütz­te. Versichert war Kruspel zudem nur unzureiche­nd gewesen. „Es gab eine Kollektivv­ersicherun­g für alle Sportler, ein Schilling Prämie. Mir standen dann 7000 Schilling zu.“Das Versicheru­ngsunterne­hmen machte eine große Sache daraus, ließ Kruspel aus Kulanzgrün­den ganze 10.000 Schilling zukommen.

Kruspel biss die Zähne zusammen, arbeitete als Grafiker unter Erich Sokol beim ORF („eine schöne Zeit“) und sprang als Einbeinige­r in der österreich­ischen Elite mit. „Ich war bald die Nummer drei im Land“– hinter den Olympiatei­lnehmern Niki Stajkovic Die Faszinatio­n des Fliegens hat Rudi Kruspel angetriebe­n. Am liebsten wäre der Wiener im Winter Skispringe­r gewesen, nicht nur im Sommer war er Wasserspri­nger. Einer der besten, die Österreich je hatte. und Ken Grove, die Kruspel später beide kurzfristi­g trainieren sollte. Aufgrund des mutigen Umgangs mit seinem Handicap gelangte er bei Gastauftri­tten in den USA und Australien sogar zu einer gewissen Popularitä­t. Daheim zog ihm allerdings der Verband gleichsam das Standbein weg. Unter Anwendung einer Regel, wonach der Absprung vom Brett und vom Turm mit beiden Beinen zu erfolgen habe, wurde Kruspel das Startrecht entzogen. „Man hat mich aus Imagegründ­en mit einem Wettkampfv­erbot belegt. Das hat mich wirklich aus der Bahn geworfen.“

Der Malerlehrl­ing

Neben der Bahn warteten der Alkohol und allerhand andere Drogen, das Ende einer Beziehung, allerdings nicht der Jobverlust, weil Kruspel noch funktionie­rte. 1977 zog er aber „von einem Tag auf den anderen“einen Schlussstr­ich. Kruspel kündigte beim ORF und rettete sich in seine alte Liebe, die Malerei. Als Garderobie­r in der Diskothek Atrium wurde er zu einem Ratgeber für Jugendlich­e, „ich habe eigentlich in der Prävention gearbeitet“. Und er lernte den erfolgreic­hen Maler Gottfried Helnwein kennen. „Er war von meiner Kraft fasziniert, die man auch in meinen Bildern gesehen hat. Dann hat er mir angeboten, bei ihm zu lernen.“

Helnwein nahm den vom Leben Gebeutelte­n mit sich ins Atelier und brachte ihm nicht nur die notwendige Technik bei. „Er hat mich viel normale Arbeit machen lassen, ich habe geputzt, Farben vorbereite­t, ich war auch das Kindermädc­hen. Das alles hat mich wieder in die Gegenwart geholt.“

Kruspel war zusammen mit seinem Lehrmeiste­r und dessen Freund Manfred Deix viel unterwegs, lernte Menschen kennen. Und er begann, vom Verkauf seiner Bilder zu leben. Er malt Landschaft­en, Wasser ist ein wichtiges, wiederkehr­endes Thema, Porträts bringen Geld. Seine Motive erwandert er sich, „ich bin erst mit einem Bein ein Spaziergän­ger geworden“, auch im Hochkönigg­ebiet, wo er Freunde hat und oft länger Aufenthalt nimmt. Jahr für Jahr bringt Kruspel einen Kalender mit aktuellen Bildern auf den Markt, „der verkauft sich glückliche­rweise gut“. Dem Galeriebet­rieb steht Rudi Kruspel skeptisch gegenüber, „ich suche eigentlich nicht Käufer meiner Bilder, sondern Freundscha­ften“.

Vom Wasserspri­nger Rudi Kruspel ist nur eine schmerzlic­he Lücke in der Pensionsvo­rsorge geblieben. Und es sind nur wenige Schwarz-Weiß-Aufnahmen.

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 ?? Foto: privat ?? Seit 1980 hat Rudi Kruspel, Schüler und Freund von Gottfried Helnwein, seine Bilder in zahlreiche­n Ausstellun­gen gezeigt.
Foto: privat Seit 1980 hat Rudi Kruspel, Schüler und Freund von Gottfried Helnwein, seine Bilder in zahlreiche­n Ausstellun­gen gezeigt.
 ?? Foto: privat ?? Rudi Kruspel hat viele Tiefschläg­e weggesteck­t, mit Hilfe und aus eigener Kraft.
Foto: privat Rudi Kruspel hat viele Tiefschläg­e weggesteck­t, mit Hilfe und aus eigener Kraft.

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