Der Standard

PRESSESTIM­MEN

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Aus Nachrufen und Kommentare­n internatio­naler Tageszeitu­ngen zum Tod Helmut Kohls: (London) Oberflächl­ich betrachtet und abgesehen vom Körperumfa­ng hält Kohl Vergleiche­n mit Otto von Bismarck stand. Der Aristokrat, der 1871 eine ausufernde Zahl von Kleinstaat­en vereinigte und Deutschlan­d zur wichtigste­n Macht in Kontinenta­leuropa formte, war ein preußische­r Protestant mit überragend­em Intellekt und großen Fähigkeite­n, der Europa wie seinen persönlich­en Baukasten behandelte. Kohl war ein katholisch­er Rheinlände­r, dem die Einigung Europas ebenso am Herzen lag wie die Wiedervere­inigung Deutschlan­ds. (...) Kohl mag sich von Bismarck so sehr unterschie­den haben wie Bonn von Berlin. Aber er war ebenso sehr ein Eiserner Kanzler, eisern hinsichtli­ch seiner Ausdauer, unerschütt­erlich in seinem Selbstvert­rauen. Der Autor mehrerer Bücher, darunter Memoiren, der einst als Helmut II. verspottet wurde, weil er so viel glanzloser war als Helmut Schmidt, bekommt auch in den Geschichts­büchern seine Rache: Es war Kohl, nicht Schmidt, der bereitstan­d, als der Zug zur Wiedervere­inigung vorbeiroll­te. (Amsterdam) Wie jeder andere war auch Kohl überrascht von den schnellen Entwicklun­gen im November 1989. Aber er reagierte darauf auch blitzschne­ll. Ungeachtet des Widerstand­s Thatchers (mit ihren berühmt gewordenen Sprüchen: „Mir sind zwei Deutschlan­d lieber als eins.“und „Zweimal haben wir die Deutschen geschlagen. Jetzt sind sie wieder da.“) und des Zögerns Mitterrand­s (Wird Europa nun ein „deutsches Europa“?) ergriff Kohl die Chance. Mitterrand köderte er mit der Zustimmung zur europäisch­en Einheitswä­hrung. Schmollend willigte schließlic­h auch Thatcher ein. Und US-Präsident Bush (Kohl sagte, er sei ein Glückslos für Deutschlan­d gewe- sen) hatte sowieso keine Probleme mit der Wiedervere­inigung. (Zürich) Natürlich lässt sich an Entscheidu­ngen von Spitzenpol­itikern immer herummäkel­n. Kohl machte dabei keine Ausnahme. Die wahre Größe von Staatsmänn­ern zeigt sich, wenn sie im richtigen Augenblick das Richtige tun. Als die Mauer fiel, wusste Kohl intuitiv, was die Stunde geschlagen hatte. Er sah die Chance und ergriff sie. Er, dem immer nachgesagt worden war, Probleme auszusitze­n, ging hohe Risiken ein. (Rom) Sollte Merkel die Wahlen gewinnen, macht sie den Rekord der längsten Kanzlersch­aft zunichte. Aber es wird nur schwierig sein, dass sie es schafft, Deutschlan­d einen weiteren Moment purer Euphorie und glückliche­r Unbeschwer­theit zu schenken, wie das Land in der Einheit gefunden hat.

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