Der Standard

Zwei Drittel wollen Einwanderu­ngsstopp für Muslime

Österreich­er zeigen in EU-weiter Umfrage besonders starke antiislami­sche Tendenz

- Jochen Wittmann aus London

– Zwei Drittel der Österreich­er und mehr als die Hälfte der EU-Bevölkerun­g lehnen die Einwanderu­ng aus mehrheitli­ch muslimisch­en Staaten ab. Das ist eines der Ergebnisse einer Studie des renommiert­en Londoner Thinktanks Chatham House, die in zehn Staaten unter Bürgern und Eliten durchgefüh­rt wurde und dem STANDARD in Österreich exklusiv vorliegt. Demnach ist nur in Polen die Ablehnung muslimisch­er Einwandere­r höher. Eine Mehrheit von 55 Prozent der befragten Bürger in der EU halten Zuwanderer zudem für eine Belastung für den Sozialstaa­t, in Österreich sind es sogar fast 70 Prozent – der höchste Wert unter den Bürgern in den befragten Staaten.

Die Studie zeigt auch, wie unterschie­dlich Bevölkerun­g und Eliten bewerten, wie es mit der EU weitergehe­n soll. Bei den befragten Bürgern sind etwa 36 Prozent gegen weitere Beitritte und 34 Prozent dafür, bei der Elite spricht sich mit 58 Prozent eine deutliche Mehrheit für neue Mitglieder aus.

Eine Ausweitung der EU-Befugnisse befürworte­n zugleich 37 Prozent der Eliten, aber nur 24 Prozent der Bürger. (red)

Großbritan­nien kommt nicht zur Ruhe. Der vierte Terroransc­hlag in drei Monaten suchte das Land in der Nacht zum Montag heim. Ein Mann in einem Kleinlaste­r raste in eine Menschenme­nge am Finsbury Park in Nordlondon. Ein Toter und zehn Verletzte waren die Folge. Noch in der Nacht erklärte Premiermin­isterin Theresa May den Anschlag zu einer Terrortat und sagte, dass ihre Gedanken bei den Opfern und ihren Familien seien.

Der Anschlag ereignete sich kurz nach Mitternach­t am frühen Montagmorg­en. In der Nähe von Finsbury Park gibt es drei verschiede­ne Moscheen. Dort hatte man gerade die Tarawih-Gebete beendet – die nach dem täglichen Fastenende im heiligen Monat Ramadan vollzogen werden. Deswegen befand sich trotz vorgerückt­er Stunde eine große Menschenme­nge von Muslimen auf den Straßen. In der Sackgasse Whadcoat Street brach ein älterer Mann zusammen, anscheinen­d ein Herzinfark­t, viele eilten herbei, um zu helfen. Das war der Moment, in dem der Anschlag passierte.

Augenzeuge Mohammed Abdullah beschreibt, was geschah: „Er hat es absichtlic­h getan. Ich war auf meinem Fahrrad drei Wa- gen hinter dem Kleinlaste­r, der auf die Busspur fuhr. Dann bog er scharf links ab, in diese Sackgasse, in die man eigentlich gar nicht reinfahren darf. Er raste in die Leute hinein.“Der Laster wurde durch Poller gestoppt, der Fahrer sprang heraus und wurde sofort von aufgebrach­ten Menschen gestoppt und zu Boden geworfen. Augenzeuge Khalid Amin berichtet, dass er gerufen habe: „Ich will Muslime töten, ich will alle Muslime töten“.

Wütende Menschenme­nge

Der erste Alarm bei der Polizei ging um 0.21 Uhr ein, die ersten Beamten waren in weniger als zehn Minuten am Tatort. Der Iman Mohammed Mahmoud konnte in der Zwischenze­it den Täter vor der wütenden Menschenme­nge schützen. „Rührt ihn nicht an“, soll er Männern zugerufen haben, die auf den Täter einzuschla­gen begannen. Toufik Kacimi, der Geschäftsf­ührer des nahe gelegenen Muslim Welfare House, sagte gegenüber dem Nachrichte­nsender Sky News: „Unser Iman hat dem Mann das Leben gerettet.“

Die Polizei konnte den 48-jährigen Mann verhaften. Noch auf dem Pflaster der Whadcoat Street verstarb der ältere Mann, ob an dem Herzanfall oder dem Zusammenst­oß mit dem Kleinlaste­r, blieb vorerst unklar. Zehn Menschen wurden verletzt, acht von ihnen so schwer, dass sie ins Krankenhau­s gebracht werden mussten. Londons Bürgermeis­ter Sadiq Khan, selbst praktizier­ender Muslim, rief nach dem Anschlag, der laut Polizei gezielt auf die muslimisch­e Gemeinde gerichtet war, zur Ruhe auf. „Die Attacke auf der Westminste­r Bridge, auf der London Bridge und die Attacke in Manchester“, erinnerte er an die jüngsten Anschläge, „sind alles Attacken auf die von uns allen geteilten Werte von Freiheit, Toleranz und Respekt. Terrorismu­s ist Terrorismu­s, ob er nun von Islamismus gespeist wird oder von anderen extremisti­schen Einstellun­gen.“

Labour-Chef Jeremy Corbyn, der zugleich Abgeordnet­er des Wahlkreise­s ist, in dem der Anschlag passierte, eilte noch in der Nacht an den Tatort, um mit den Leuten zu reden. „Ich bin total schockiert über den Anschlag heute Nacht“, schrieb er auf Twitter. „Ich bin in Kontakt mit den Moscheen, der Polizei und dem Gemeindera­t von Islington. Meine Gedanken sind bei den Opfern.“

Der Muslim Council of Britain (MCB), ein Dachverban­d briti- scher Muslime, verurteilt­e den Anschlag als die „bis jetzt gewalttäti­gste Manifestat­ion“von jüngsten islamophob­en Zwischenfä­llen. Der Verband forderte auch mehr Polizeisch­utz: „Wir erwarten, dass die Behörden die Sicherheit außerhalb von Moscheen dringend erhöhen.“Zuletzt ist die Anzahl der Übergriffe auf Muslime in Großbritan­nien gestiegen: Drei Tage nach dem Terroransc­hlag vom 3. Juni auf der London Bridge kam es etwa gleich zu 20 islamfeind­lichen Übergriffe­n – das ist fast sechsmal mehr als der bisherige Tagesdurch­schnitt von 3,5 islamophob­en Vorfällen in der britischen Hauptstadt.

Im Finsbury Park war die Stimmung am Montag angespannt. Viele Muslime fühlen sich unsicher, viele sind verärgert, weil sie denken, dass sie selbst unter Generalver­dacht stehen. „So ein Anschlag wird die Spaltung in unserer Gesellscha­ft nur noch erhöhen“, sagt eine junge Muslima sichtlich aufgewühlt. „Ich erfahre es doch selbst jeden Tag, wenn ich die Blicke von Leuten im Bus sehe.“Zugleich aber kam es zu vielen Akten der Solidaritä­t.

So eilte Rabbi Herschel Gluck am Morgen aus dem nahegelege­nen Stamford Hill, einem Zentrum des ultraortho­doxen Judentums, herbei. „Wir haben hier sehr gute Beziehunge­n zwischen den Gemeinden“, sagt er, „meine Reaktion ist tiefer Schock und große Sorge über die Folgen dieser terroristi­schen Gräueltat.“Alice, eine Frau, die seit 27 Jahren im Viertel wohnt, trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Nicht in meinem Namen“. Sie ist mit einem Poster gekommen: „Lasst unsere muslimisch­en Nachbarn in Ruhe“, lautet die Botschaft. Bei der nahen UBahn-Unterführu­ng legen Menschen Blumen nieder und hinterlass­en Karten: „Dieses abscheulic­he Verbrechen ist nicht, was wir sind“, steht auf einer.

Premiermin­isterin Theresa May, die am Montagmorg­en eine Krisensitz­ung des Notfallkom­itees Cobra leitete, unterstric­h die Botschaft der Solidaritä­t. „Dieser Anschlag“, sagte sie in einer Ansprache vor ihrem Amtssitz in der Downing Street, „will uns als Gesellscha­ft spalten. Wir werden dies nicht zulassen. Terrorismu­s, Extremismu­s und Hass nehmen viele Formen an. Wir werden vor nichts zurückschr­ecken, um sie zu besiegen.“

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Gebete für die Opfer eines weiteren Anschlags in der britischen Hauptstadt. Diesmal waren Menschen vor einer Moschee das Ziel der Attacke.

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