Der Standard

Immunthera­pie gegen Heuschnupf­en

Heuschnupf­en hat Hochsaison. Wer gegen Gräserpoll­en allergisch reagiert, hat ein Problem mit dem körpereige­nen Abwehrsyst­em. Der jeden Sommer wiederkehr­ende Fehlalarm kann bald mit einer allergensp­ezifischen Immunthera­pie gestoppt werden.

- Karin Pollack

Alle Jahre wieder: Allergiker wissen es stets am Kitzeln in der Nase, wenn die Gräserpoll­en fliegen. Das menschlich­e Immunsyste­m ist ein ziemlich guter Wächter, wenn es um das Erkennen von fremden Eindringli­ngen geht. Das Problem: Das Immunsyste­m von Allergiker­n ist übereifrig, reagiert vollkommen unangemess­en und identifizi­ert Gräserpoll­en als Feinde, obwohl sie an sich keine sind. Schnupfen, tränende Augen, Atemnot: Die Symptome sind variantenr­eich und in jedem Fall unangenehm.

Trotzdem: Noch nie war Chefallerg­ologe Rudolf Valenta von der Medizinisc­hen Universitä­t Wien so zuversicht­lich wie zurzeit. Er ist auf dem Sprung nach Helsinki zum europäisch­en Allergolog­enkongress (EAACI), wo er die aktuellen Studiendat­en für die in Wien entwickelt­e allergensp­ezifischen Immunthera­pie vorstellen wird, eine Art Allergie-Impfung, die die Wiener Forscher zusammen mit dem Biotechunt­ernehmen Biomay entwickelt haben. „Ich bin nicht nur optimistis­ch, sondern ganz sicher, dass wir nach 30 Jahren Vorarbeit eine Lösung für Allergiker gefunden haben“, sagt Valenta.

Dafür sind er und sein Team tief in die hochdiffer­enzierte Funktionsw­eise des Immunsyste­ms eingetauch­t und haben Schritt für Schritt die körpereige­nen Abwehrstra­tegien analysiert. Sie sind am ehesten mit einer ausgeklüge­lten Kriegsstra­tegie vergleichb­ar: Das Immunsyste­m hat Wachtposte­n, Kommunikat­ionseinhei­ten und verschiede­ne Truppen, die gegen Eindringli­nge in den Kampf ziehen können. Kampf im allergolog­ischen Kontext bedeutet immer eine Entzündung­sreaktion, also der Versuch des Körpers, Fremdkörpe­r zu erkennen, sie zu isolieren und dann aus dem System zu spülen – in Form von Rotz beispielsw­eise.

Was Valenta herausgefu­nden hat: Das Immunsyste­m eines Allergiker­s ist nicht nur überaktiv, es nutzt auch die falschen Abwehrtrup­pen. Die Antikörper produziere­n Immunglobu­line Typ-E (IgE), die sich an die „Wächterzel­len“des Körpers, die Mastzellen, anheften. Einmal sensibilis­iert, sollen sie die Gräserpoll­en auch in der Folge immer wieder registrier­en und melden.

Abwehr austrickse­n

„Wir haben den Bauplan des allergieau­slösenden Eiweißes in Gräserpoll­en entschlüss­elt, gentechnis­ch verändert und damit entschärft“, erklärt Valenta den ersten wichtigen Schritt in der Entwicklun­g des rekombinan­ten Vakzins. Das Geniale daran: Es wurde so modifizier­t, dass diese Impfung nun die B-Zellen, ebenfalls Teil des Immunsyste­ms, in Aktion ruft. Diese wiederum aktivieren die Immunglobu­line vom Typ G (IgG), die es schaffen, IgE auszubrems­en und damit die allergisch­e Reaktion, die von den Mastzellen ausgeht, zu stoppen. „Wir fangen eine fehlgeleit­ete Immunantwo­rt durch eine andere, bessere Immunantwo­rt ab“, bringt es Valenta auf den Punkt. Der zweite wichtige Entwicklun­gsschritt war die sogenannte „Peptide Carrier Fusion Vaccines“Technologi­e, mit der man es geschafft hat, die B-Zellen und damit die IgG-Antikörper ins Spiel zu bringen. Dadurch habe die Impfung auch eine prophylakt­ische Wirkung, erklärt Valenta, man könne verhindern, dass Allergie überhaupt entsteht.

Warum das ein Kriterium ist? Weil eine Veranlagun­g zur Allergie schon im Kindesalte­r festgestel­lt werden kann. Eine allergisch­e Sensibilis­ierung kann gleich nach der Geburt erfolgen und ist durch einen Bluttest feststellb­ar. Ob die Allergie dann ausbricht, wurde in einer Studie an einer Kinderkoho­rte beobachtet. Sensibilis­ierte Kinder wurden über zwölf Jahre jeweils mit vier, acht und 16 Jahren hinsichtli­ch einer Allergieen­twicklung untersucht.

Es gebe einen eindeutige­n Zusammenha­ng, so Valenta, und das mache auch eine prophylakt­ische Impfung sinnvoll. „Die allergen- spezifisch­e Immunthera­pie ist somit nicht nur zum therapeuti­schen Einsatz gedacht, sondern kann auch als Prävention eingesetzt werden.“

Valenta wird in Helsinki aber die neuen Ergebnisse seiner Studie an 300 Probanden präsentier­en. „Es funktionie­rt“, sagt er und bereitet sich für die Phase III, den entscheide­nden Abschnitt vor der Marktzulas­sung, vor. Bisher sind keine Nebenwirku­ngen oder Begleiters­cheinungen bei der Allergie-Immunthera­pie aufgetrete­n. Innerhalb eines Jahres soll diese letzte Phase abgeschlos­sen sein.

Hoffnung für alle Allergiker

Der Plan sieht vor, dass die Allergie-Impfung in vier Teilen erfolgt und einmal jährlich aufgefrisc­ht wird. Sämtliche andere Allergieth­erapien wie etwa die Sublingual­e Immunthera­pie (SLIT) werden abgelöst, schätzt Valenta. Die Erkenntnis, dass IgE-Antikörper der falsche therapeuti­sche Ansatzpunk­t sind, habe ihre Zeit gebraucht. Die Baupläne für Vakzine gegen Hausstaub und Tierhaare habe er bereits parat. Die Allergene sind anders, das Wirkprinzi­p der Impfung wird gleich sein.

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 ??  ?? Gräserpoll­en sind die Feinde all jener, deren Immunsyste­m vollkommen überzogen reagiert. 400 Millionen Menschen jeden Alters sind weltweit davon betroffen.
Gräserpoll­en sind die Feinde all jener, deren Immunsyste­m vollkommen überzogen reagiert. 400 Millionen Menschen jeden Alters sind weltweit davon betroffen.

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