Der Standard

Stimmungst­est für die US-Demokraten

Jungkandid­at will bei Kongressna­chwahl in Georgia eine republikan­ische Hochburg erobern

- Frank Herrmann aus Washington

Man kann nicht sagen, dass Jon Ossoff ein rebellisch­er Außenseite­r der Politik wäre. Bereits mit 17 Jahren steuerte er eine politische Karriere an, indem er ein Praktikum in einem Abgeordnet­enbüro machte, bei John Lewis, einem der Großen der Bürgerrech­tsbewegung. Später studierte er in Washington Internatio­nale Beziehunge­n und drehte Dokumentar­filme zu Themen wie Korruption und Machtmissb­rauch in Afrika. Nunmehr, mit 30 Jahren, strebt er in den Kongress, ein Kandidat, der abgeklärte­r klingt, als es sein Alter vermuten ließe. Auch wenn Bernie Sanders ihn ausdrückli­ch zur Wahl empfahl, die feurige Wall-StreetKrit­ik des Helden der Linken ist nicht Ossoffs Sache. Vielmehr versucht er, mit ausgesproc­hen moderater Rhetorik, die politische Mitte zu besetzen.

Damit rechnet sich der Hoffnungst­räger der Demokraten Chancen aus, heute, Dienstag, eine Kongressna­chwahl im eher konservati­ven Speckgürte­l am Rande der Südstaaten­metropole Atlanta zu gewinnen. In einer Gegend mit Hightech-Unternehme­n und guten Schulen, mit hohem Durchschni­ttseinkomm­en und niedriger Arbeitslos­igkeit. Seine republikan­ische Widersache­rin, Karen Handel, eine erfahrene Lokalpolit­ikerin, hatte er vor zwei Monaten beim ersten Kräftemess­en zwar klar besiegt. Doch da er knapp die absolute Mehrheit verfehlte, wird eine Stichwahl fällig. Falls Ossoff auch die gewinnt, wäre es eine kleine Revolution.

Der sechste Distrikt des Bundesstaa­ts Georgia ist nämlich fest in republikan­ischer Hand, die „Grand Old Party“gibt hier den Ton an, seit mit Jimmy Carter ein Lokalmatad­or aus Georgia das Weiße Haus verließ. Lange war es Newt Gingrich, der rechte Gegenspiel­er des Präsidente­n Bill Clinton, der den Wahlkreis im Parlament vertrat. Später folgte Tom Price, ein Arzt mit dezidiert konservati­ven Ansichten, den Donald Trump als Gesundheit­sminister in sein Kabinett holte. Ein Sieg Handels würde bedeuten, dass eine Mehrheit im Speckgürte­l Atlantas so wählt, wie dort seit zwei Generation­en gewählt wird.

Trump-Faktor

Nur kommt eben der TrumpFakto­r hinzu, der Schatten eines Präsidente­n, der zunehmend an Popularitä­t einbüßt, nicht bei seinen treuesten Anhängern im Rostgürtel, wohl aber in den gediegenen Einfamilie­nhaussiedl­ungen Suburbias. Um den Frust der Bildungsbü­rger einzufange­n, spricht Ossoff tadelnd vom „Zirkus in Washington“und betont, dass er für einen unabhängig­en, ergebnisor­ientierten Politiksti­l stehe.

Über Sachthemen reden, Polemik vermeiden: Bisweilen klingt es, als teste Ossoff ein Konzept, mit dem sich die Demokraten den Aufstieg aus dem Tal erhoffen. Nach Hillary Clintons Niederlage stand die Partei zunächst unter Schock, dann begann sie, ihre Wunden zu lecken und über den künftigen Kurs zu debattiere­n. Nun, da die Zustimmung­sraten Trumps historisch­e Tiefststän­de erreichen, wittert sie Morgenluft. Nachwahlen in Kansas und Montana hatten ihre Bewerber für den Kongress zuletzt noch verloren, in Georgia soll sich das ändern. Kein Wunder, dass Spender auf beiden Seiten mehr als 50 Millionen Dollar lockermach­ten, um die Werbung zu finanziere­n: Ein kostspieli­geres Duell in einem Kongresswa­hlkreis haben die Vereinigte­n Staaten noch nie erlebt.

Handel wiederum setzt auf die Art von Polemik, wie Republikan­er sie gern benutzen, um Demokraten als weltfremde Träumer zu skizzieren. „Ihre Werte sind dreitausen­d Meilen von Georgia entfernt, Ihre Werte liegen in San Francisco“, hält sie Ossoff entgegen. San Francisco ist für Konservati­ve die Chiffre für müde belächelte Weltverbes­serer, die angeblich jeden Bezug zur Realität verloren haben. „Ich habe schon in Georgia gelebt“, sagt Handel, an ihren Rivalen gewandt, „da waren Sie gerade geboren.“

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Jon Ossoff auf einer Wahlverans­taltung im sechsten Distrikt von Georgia, der seit den 1970er-Jahren in republikan­ischer Hand ist.

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