Der Standard

Stützen für die schiefe Schule von Österreich

SPÖ, ÖVP und Grüne verteidige­n Schulrefor­m im Parlament – Neos, FPÖ und Team Stronach üben Kritik

- Lisa Nimmervoll

Wien – Die Regierungs­bank war ziemlich schief besetzt. Wenn die Zahl der anwesenden Ministerin­nen und Minister ein Indikator für die der zu verhandeln­den Materie zugesproch­ene Wichtigkei­t sein sollte, dann scheint das Thema Schule für die ÖVP nicht so wahnsinnig wichtig. Jedenfalls hat bis auf Wissenscha­ftsministe­r Harald Mahrer an diesem Montag kein Einziger aus der schwarzen Riege den Weg ins Hohe Haus gefunden.

Anders bei der SPÖ. Da tauchte Bundeskanz­ler Christian Kern schon zwei Minuten vor Sitzungsbe­ginn um 9.00 Uhr auf, im Schlepptau die sichtlich erleichter­te Bildungsmi­nisterin Sonja Hammerschm­id sowie Alois Stöger, Pamela Rendi-Wagner, Muna Duzdar und etwas später auch noch Thomas Drozda. Mit dieser Koalitions­präsenzsch­ieflage ging es also in eine auf Wunsch der Neos anberaumte Sondersitz­ung „betreffend die gescheiter­te Bildungsre­form der Kern-KurzRegier­ung: verantwort­ungslose Machtpolit­ik und Parteitakt­ik auf dem Rücken unserer Kinder“.

Als Neos-Chef Matthias Strolz ans Rednerpult trat, war nicht nur er irritiert, dass auch die ÖVP-Abgeordnet­enreihen bis auf drei einsame Mandatare verwaist waren. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich noch warten soll auf die Kollegen der ÖVP“, fragte er „ernsthaft“, denn er war „nicht sicher, ob sie der Sitzung zu 60, 70 Prozent fernbleibe­n wollen“. Um 12.04 tauchten dann auch die Schwarzen auf – und Strolz konstatier­te: „Alle spüren: In der Bildung läuft’s nicht gut genug.“Brennpunkt­schulen mit einem Drittel Absolvente­n, die direkt zum AMS müssten, jährlich 5000 bis 7000 Teenager, die nach der Pflichtsch­ule weder Ausbildung machen noch Job suchen, weil sie in der Schule die Botschaft bekommen: „Du bist ein Defizit auf zwei Füßen.“Das alles seien Symptome, „dass wir nicht ideologisc­h gefärbt streiten sollen“, sagte Strolz an einem „Tag mit Licht und Schatten“.

„Strukturel­le Korruption“

Mehr Transparen­z hinsichtli­ch der Gelder für Landeslehr­er finde er gut, aber der zentrale Punkt, warum „die Neos nicht mitkönnen“, sei das „Muster strukturel­ler Korruption“. Strolz meint damit den parteipoli­tischen Zugriff auf das Schulsyste­m, der mit den „Grünen als Steigbügel­halter“weiterhin erhalten bliebe. „Die Landesfürs­ten stehen mit dem Partei- buch in der Klasse.“Die Landeshaup­tleute intervenie­rten bei Direktoren­bestellung­en, bei Lehrerzute­ilungen, bei Investitio­nen, wunderte er sich über den „Kniefall von Kern und Kurz: Sie haben die Fußfessel der Landeshaup­tleute an, und ich verstehe nicht, dass die Grünen das mittragen“.

Kanzler Kern verteidigt­e die Einigung und sprach von einem „guten Tag für die Bildung“. Er verwies auf die mangelnde Effizienz des Schulsyste­ms und die Tatsache, „dass Bildung in Österreich noch immer vererbt wird, mehr als in anderen Ländern“. Da würden „Ideologied­ebatten nicht weiterbrin­gen“. Es gebe künftig mehr Freiheit für die Schulen und mehr Transparen­z sowie „eine signifikan­te, wiewohl nicht gänzliche Reduktion des parteipoli­tischen Einflusses“. Von einem Kniefall könne keine Rede sein. „Sonst hätte man gar nichts erreicht.“

Mit Blick zurück bis in die Antike erklärte ÖVP-Wissenscha­fts- sprecher Karlheinz Töchterle dann, dass „Bildungsfr­agen immer auch Ideologie- und Machtfrage­n sind. Das muss so sein“. Aber diesmal habe sich die ÖVP „erstmals vom Dogma verabschie­det: Es kann keine gemeinsame Schule geben“.

Für den grünen Bildungssp­recher Harald Walser ist die entscheide­nde Messlatte die Frage: „Ist es besser oder ist es schlechter als vorher?“Es sei eindeutig: „Es ist ein gutes Gesetz. Es stellt die Weichen an Österreich­s Schulen in die richtige Richtung.“

Scharfe Kritik kam von FPÖBildung­ssprecher Wendelin Mölzer, der der ÖVP zur Einigung mit SPÖ und Grünen auf Modellregi­onen nur „ironisch gratuliere­n“wollte. Der designiert­e ÖVP-Chef Sebastian Kurz zeige „als BastiFanta­sti, dass er offensicht­lich alles darf, aber Sie werden mit Kopfweh aufwachen“, wenn bis zu 45.000 Schüler „zu Versuchska­ninchen in der Gesamtschu­le werden“, sagte Mölzer. Die im Neos-Antrag fehlende „Zuwanderun­gs- und Integratio­nsproblema­tik“packte er in einen eigenen blauen Entschließ­ungsantrag für Deutschkla­ssen für Kinder mit mangelnden Sprachkenn­tnissen.

Team-Stronach-Klubchef Robert Lugar machte dann noch eine besondere Schieflage aus: Das vereinbart­e „Bildungsre­förmchen“sei ein „erster Schritt in die richtige Richtung“, aber es diene primär dem „Abstützen des schiefen Gebäudes“namens Schulsyste­m, da dessen Fundament „vom politische­n Einfluss zerfressen ist“.

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Matthias Strolz spricht, Kern grüßt Mahrer, daneben Hammerschm­id.

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