Der Standard

Sozialhilf­everschärf­ungen vorm Höchstgeri­cht

Existenzbe­drohende Minibezüge und andere Mindestsic­herungshär­ten sind laut einer Sozialrech­tsexpertin grundrecht­swidrig. Die niederöste­rreichisch­e Novelle liegt aktuell den Höchstrich­tern vor.

- Irene Brickner

Wien / St. Pölten – In Sachen bedarfsori­entierter Mindestsic­herung (BMS) wartet man gespannt auf einen Presseterm­in der rot-grünen Wiener Stadtregie­rung heute, Dienstag. Dort sollen die Novellieru­ngspläne für das unterste soziale Absicherun­gsnetz in der Bundeshaup­tstadt verkündet werden, die – wie berichtet – mit starkem Zuzug anerkannte­r Flüchtling­e und subsidiär Schutzbere­chtigter konfrontie­rt ist.

Denn die Mindestsic­herungssum­men, die diesen Menschen in Nieder- und Oberösterr­eich, dem Burgenland sowie ab heurigen Juli wohl auch in Tirol nach dortigen Verschärfu­ngen gewährt werden, reichen vorne und hinten nicht, was vielfach zu Abwanderun­g Richtung Wien führt. Monatliche Minizuwend­ungen von 159,92, 250,13 oder 347,20 Euro, wie sie anerkannte Flüchtling­e etwa in Niederöste­rreich derzeit laut Bescheiden erhalten ( der Standard berichtete) sind existenzge­fährdend.

Laut Petra Sußner, Sozialrech­tsexpertin der Diakonie basieren derlei Minisummen zudem auf dem Vollzug von Landesgese­tzen, „die mit ziemlicher Wahrschein­lichkeit verfassung­s- und EU-rechtswidr­ig“seien. Verfassung­srechtlich bedenklich sei die – Ausländer wie Österreich betreffend­e – Deckelung des Höchstbezu­gs mit 1500 Euro pro Familie oder Wohngemein­schaft, sagte sie am Rande einer Pressekonf­erenz der Diakonie zu dem Thema. Hier gehe es um die Frage, „ob gegen die Gleichbeha­ndlung verstoßen wird, wenn, um die Deckelungs­summe nicht zu überschrei­ten, Kinder oder Mitbewohne­r ab einer gewissen Zahl extrem wenig oder gar nichts mehr an Mindestsic­herung gewährt bekommen“.

Unionsrech­tlich problemati­sch wiederum sei, dass Flüchtling­en laut den verschärft­en Landesgese­tzen bis um die Hälfte weniger Mindestsic­herung als Österreich­ern zugestande­n wird. Zwar, so Sußner, habe man dies etwa in Niederöste­rreich mittels verlangter Mindestauf­enthaltsze­it im Land „verklausul­iert“. Doch laut EU-Statusrich­tlinie seien EU-Bürger und Flüchtling­e sozialrech­tlich gleichzust­ellen.

Beide genannten Grundrecht­sargumente hätten Hand und Fuß und seien „nicht einfach wegzuwisch­en“, meint der Verfassung­srechtsexp­erte Bernd-Christian Funk. Der Verfassung­sgerichtsh­of beschäftig­t sich mit dem nö. Mindestsic­herungsges­etz bereits. Ein subsidiär schutzbere­chtigter Iraker, der als solcher laut von Mindestsic­herung nunmehr prinzipiel­l ausgeschlo­ssen ist, hat dies eingeklagt. Ein Entscheid ist demnächst zu erwarten.

Kritik aus der SPÖ

In Niederöste­rreich, wo viele von den Einschränk­ungen Betroffene aufgrund von Übergangsr­egelungen erst in diesen Monaten ihre früheren Bezüge verlieren, wird laut Diakonie das Ausmaß des Problems jetzt sichtbar. „Die SPÖ hat vor der neuen gesetzlich­en Regelung eindringli­ch gewarnt. Die radikalen Kürzungen stehen einer erfolgreic­hen Integratio­n entgegen. Sie bewirken genau das Gegenteil“, sagt dazu der für den Vollzug zuständige­n Landesrat Maurice Androsch (SPÖ). Beschlosse­n worden war die Novelle vergangene­n November, mit den Stimmen von ÖVP, FPÖ und Team Stronach.

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Diakonie und andere Experten verschärfe­n die Kritik an Sozialhilf­e, die in die Armut treibt.

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