Der Standard

Schnaps, Rollstuhlf­ahrerin und Fahrerfluc­ht

Prozess gegen 72-Jährigen, der Frauen auf einem Schutzweg angefahren haben soll

- Michael Möseneder

Wien – Eines ist Gustav H. sicher nicht: ein Gentleman der alten Schule. Als solcher wäre er wohl kaum weitergefa­hren, wenn er eine umgestürzt­e Rollstuhlf­ahrerin auf dem Zebrastrei­fen liegen sieht. Das machte der 72-Jährige aber am 1. Dezember 2015, wie er vor Richter Christian Böhm zugibt. Nur: Er habe die Frau und ihre Betreuerin nicht, wie angeklagt, zuvor angefahren, sei danach nicht geflüchtet und sei auch nicht betrunken hinter dem Lenkrad gesessen.

Der Geschäftsf­ührer erzählt die Sache so: „Ich habe vor dem Zebrastrei­fen gehalten, die sind darübergeg­angen. Plötzlich ist der Rollstuhl dagelegen.“Seine Vermutung: Die Betreuerin sei auf der regennasse­n Fahrbahn gestürzt. Er habe jedenfalls nur die liegende Rollstuhlf­ahrerin wahrgenomm­en. „Ich habe durch das Fenster gefragt, ob alles passt, und die Dame hat ‚Ja, ja‘ gesagt“, schildert er. „Sie haben sich gedacht: Passt eh, sie braucht zwar einen Rollstuhl, um sich fortzubewe­gen, aber wenn sie auf dem Boden liegt und sagt, es ist alles in Ordnung, kann ich weiterfahr­en?“, wundert sich der Richter. „Ja, das habe ich mir gedacht.“

Dass ihn 20 oder 30 Meter später noch ein Passant aufgehalte­n und mit ihm gesprochen habe, gibt er auch zu, er habe aber nicht wirklich gewusst, was der Mann von ihm wolle. Eine halbe Stunde später habe er sich daheim mit einem Maler getroffen. „Wir haben über das Ausmalen der Wohnung gesprochen. Dann haben wir Unicum getrunken, und er ist ge- gangen, kurz bevor die Polizei gekommen ist.“Das Interessan­te daran: In gut 20 Minuten will H. einen halben Liter Bier und einen Viertellit­er 40-prozentige­n ungarische­n Kräutersch­naps gekippt haben – um 19.30 Uhr wurden 1,64 Promille gemessen.

Der Polizistin hat er damals etwas ganz anderes erzählt: Es habe einen Zusammenst­oß gegeben, es sei aber niemand verletzt worden. Als er um 18 Uhr heimgekomm­en sei, habe er „Fleisch mit Ei“gegessen und ein kleines Bier dazu getrunken. Kein Wort von Schnaps, kein Wort von einem Maler. „Mir war nicht klar, dass das beim Alkomaten so viel anzeigt“, sagt der Angeklagte. „Dass ein Alkomat nach einem Viertellit­er Schnaps und einem Bier das anzeigt, ist nicht ganz ungewöhnli­ch“, kontert Böhm, ehe er wegen eines fehlenden Zeugen vertagt.

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