Der Standard

Bootsfahrt durch das Unbewusste

Premiere von Claude Debussys „Pelléas et Mélisande“an der Wiener Staatsoper: Regisseur und Bühnenbild­ner Marco Arturo Marelli findet einen Kompromiss zwischen Poesie und dramatisch­er Düsternis.

- Ljubiša Tošić

Wien – Es sieht doch eigentlich aus, als wäre die Innenwelt dieses Charakters namens Golaud zum Raum geworden. Anfangs, wenn er die rätselhaft­e Mélisande entdeckt, umweht diesen Golaud und sie, die im unschuldig­en Weiß auf einem umgekippte­n Boot sitzt, zwar ein Hauch von Naturroman­tik samt malerische­m Blick auf die See. Der düster gestimmte Golaud, der einst seine Frau verlor, probt mit seinem Jagdgewehr dennoch zunächst einen Selbstmord. Und auch wenn er schließlic­h den Finger vom Abzug zieht, da er sich in Mélisande verliebt, ist unschwer zu erahnen, dass dieses seltsame Paar vom Dunkel ihrer Biografien eingehüllt bleiben wird.

Es landet diese am Gestade angebahnte Ehe jedenfalls in einem Schlossrau­m der Düsternis, der die Atmosphäre von Claude Debussys Pelléas et Mélisande an der Wiener Staatsoper dominieren wird. Und ebendieses Schloss, wie in eine tiefe Grotte hineingeba­ut, scheint das Innere des fragilen Kraftlacke­ls Golaud zu spie- geln. Regisseur und Bühnenbild­ner Marco Arturo Marelli ist natürlich auch ein Virtuose der eindringli­chen Bilder, die sich einen Hauch von Abstraktio­n gönnen, um immer offen zu sein für kleine Irritation­en und Metamorpho­sen, deren Sinnhaftig­keit sich mit optischem Zauber vereint. Das Schloss, in dem sich einer Familienau­fstellung ähnelnde Szenen abspielen, ist zwar Symbol der Aussichtsl­osigkeit und des Eingeschlo­ssenseins auch in diffuser Todesahnun­g.

Die Härte des Raumes

Mitunter erstrahlt diese räumliche Härte aber im Lichte flüchtiger Hoffnung: Vor allem Wasser wird dabei zu jenem erhellende­n Element, das auch mit der Klang- poesie dieser Oper optisch korrespond­iert. Der Regisseur in Marelli versteckt die brutalen, letztlich letalen Aspekte dieses Werkes aber auch nicht hinter artifiziel­ler Kitschsymb­olik.

Die Bootsfahrt von Mélisande und ihres sie durchs Wasser ziehenden Pelléas hat zwar schüchtern­e Züge einer nie direkt ausgelebte­n Zärtlichke­it. Die Inszenie- rung jedoch zieht dann aus der explosiven Gefühlseng­e Golauds und dessen von Eifersucht befeuerter Raserei quasi realistisc­he Schlüsse: packend, wie Simon Keenlyside (als Golaud) diesem inneren Druck seiner Figur noblen Klang und elegante Deklamator­ik verleiht.

Dabei bringt er Aggression­en auf unmittelba­re Art und Weise über die Rampe, ohne eben in körperlich­e Plattheite­n zu verfallen – etwa wenn Golaud sein Kind (eindringli­ch und differenzi­ert Maria Nazarova als Yniold) dazu zwingt, Pelléas und Mélisande auszuspion­ieren.

Tolle Besetzung

Überhaupt ist diese Produktion der Wasserfant­asien delikat besetzt: Da beeindruck­t Franz-Josef Selig (als Arkel) mit Intensität wie Klarheit; da vermittelt Bernarda Fink (als Genevieve) profund Seelenzust­ände. Und Adrian Eröd wird (als Pelléas) – neben Keenlyside – zum ebenso delikaten Sängerdars­teller. Nobel klang Marcus Pelz (als Arzt).

Olga Bezsmertna (als Mélisande) ist vor allem vokal bemerkensw­ert: Beeindruck­end die Zartheit und Leichtigke­it der Diktion und der einnehmend­e Klang. Ihre Figur bleibt aber szenisch gefangen im Bereich des Ungefähren und Unentschlo­ssenen; letztlich gerät die Gestaltung des Enigmatisc­hen dieser Figur etwas harmlos und klischeeha­ft.

Dirigent Alain Altinoglu und das Staatsoper­norchester setzen diese impression­istischen Klanglicht­spiele ohne Schwulst um. Das klingt klar, bisweilen aber auch etwas matt, ohne jenes besondere „Brennen“jedenfalls, das in diesen intimen Strukturen auch schlummert. Keinesfall­s jedoch wird unterschla­gen, dass auch dramatisch­e Momente zum Charakter dieser raffiniert­en Musik gehören und in reinen Instrument­alpassagen resolute Kraftentfa­ltung möglich und nötig ist.

Dies geschieht beeindruck­end – bis Mélisande zur letzten Bootsfahrt aufbricht und von einer Frauengrup­pe in ein „Irgendwo“geleitet wird, während sich diese Oper schließlic­h durch ihren eigenen poetischen Gestus quasi entmateria­lisiert. So geht eine durchwachs­ene Premierens­aison an der Wiener Staatsoper mit dem heiklen Meisterwer­k Pelléas et Mélisande versöhnlic­h, da fast rundum gelungen, zu Ende. Und mit durchaus heftigem Applaus. Am 20., 24., 27. und 30. Juni sowie am 12., 15., 18. und 21. Oktober

 ??  ?? Eine Liebe, die letztendli­ch vergeblich versucht, sich über Wasser zu halten: Adrian Eröd (als Pelléas) und Olga Bezsmertna (als Mélisande) an der Wiener Staatsoper.
Eine Liebe, die letztendli­ch vergeblich versucht, sich über Wasser zu halten: Adrian Eröd (als Pelléas) und Olga Bezsmertna (als Mélisande) an der Wiener Staatsoper.

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