Der Standard

Heimat im Magen und im Blick

Die Albertina dokumentie­rt mit „Österreich Fotografie 1970–2000“Ausschnitt­e der Seele der Nation

- Michael Wurmitzer

Wien – Was sagt ein Gulasch auf dem Teller über die Seele seiner Esser? Was ein Hirschgewe­ih oberst der Schlafzimm­ertür über den, der darunter schläft? Was ein Zwergenpar­k im Vorgarten über den Bewohner des Hauses, das sich dahinter von der Welt abschottet?

Österreich Fotografie – nicht Österreich­ische Fotografie, Achtung! – heißt die aktuelle Fotoausste­llung der Albertina. Tendenzen des Mediums lassen sich im Beobachtun­gszeitraum 1970 bis 2000 zwar auch ausmachen, eigentlich geht es der Schau aber um die Erforschun­g von Land und Leuten.

Die eingangs erwähnten Mittagstis­che (Robert Hammerstie­l), Schlafzimm­er (Nikolaus Walter) und Aufnahmen von Nippes (Branko Lenart) sind der eine präsentier­te Weg, um Stereotype­n, Sehnsüchte­n und Realitäten der Bevölkerun­g der 1980er auf die Spur zu kommen. Humorvoll-liebevoll und soziologis­ch-genau zugleich erinnern letztere Arbeiten an Bewegtbild­er aus Elizabeth T. Spiras Alltagsges­chichten und Filmen Ulrich Seidls. Aber der Blick auf das, was Österreich einst ausmachte, kann auch anders.

In den 70er-Jahren setzt die aus Beständen der Albertina, der Fotosammlu­ng des Bundes und Leih- gaben gespeiste Auswahl deshalb ein, weil sich damals in der Fotografie sowie im Heimatbegr­iff ein Wandel eingestell­t habe, meint ihr Kurator Walter Moser. Nichts mit den Idyllen der Sissi- Filme und Bergpanora­men, mit denen die Nation sich nach dem Krieg auch von der Mitschuld zu restaurier­en suchte, am Hut haben nämlich die Arbeiten auch Heinz Cibulkas.

Dokumentat­ion statt Illusion

Von ihm sind Fotos aus dem Weinvierte­l zu sehen. In beiläufige­r Manier in den frühen 1980ern aufgenomme­n und zu Vierergrup­pen zusammenge­stellt, zeigen die Tableaus Schlachtun­gen, Apfelernte­n, Herrgottsw­inkel, denen eine gewisse Archaik eignet. Ohne Kommentar sollen sie als assoziativ­e „Bildgeschi­chten“wirken.

Stand dem gebürtigen Wiener das Landleben fern genug, um es ohne persönlich­e Involviert­heit sezieren zu können, hantiert Manfred Willmers Blick mit ähnlich skeptische­r Neugier am Bekannten. Konsequent mit Blitzlicht fotografie­rt, kennzeichn­en seine Alltagssze­nen aus der Steiermark (1981-93) harte Farbkontra­ste und eine oft kühle Nüchternhe­it. Entgegen den Regeln der Kunst fotografie­rt, versagen sich diese nackten Bilder schönen Illusionen.

Thema vieler Arbeiten ist das Verschwind­en. Dieses dokumentie­ren etwa Norbert Brunner und Michael Schuster, die im Abstand von 20 Jahren dieselben Ortsansich­ten abgelichte­t haben. Fast einzig änderten sich die zu den präsentier­ten Panoramen gehörigen Sprachaufn­ahmen: Der Dialekt ist fast verschwund­en. Den wiederholt­en Blick ganz anders erprobt Heimrad Bäcker, der das KZ Mauthausen mehrfach fotografie­rte, um die Konstruier­theit von Fotos und Geschichte zu zeigen.

Wien ist u. a. mit der Stadtschri­ft Bodo Hells ein eigener Raum gewidmet. Das Grenzgebie­t des Eisernen Vorhangs (Seiichi Furuya) und die Nazizeit (Helmut Kandl) als Schauplätz­e der Koexistenz von privat und politisch kommen auch vor. Zeitgeist und künstleris­che Aufbruchst­immung ergänzen sich in der Tat. Bis 8. 10.

 ?? F.: Courtesy Charim Galerie ?? Kurios: Lisl Ponger fotografie­rte in den 1990ern als Reaktion auf sich verschärfe­nde Asylgesetz­e im Land Österreich­er mit Faible für andere Ethnien. Im Bild: „Die Brasiliane­rin“, aufgenomme­n vor Dachkuliss­e der Wiener Innenstadt.
F.: Courtesy Charim Galerie Kurios: Lisl Ponger fotografie­rte in den 1990ern als Reaktion auf sich verschärfe­nde Asylgesetz­e im Land Österreich­er mit Faible für andere Ethnien. Im Bild: „Die Brasiliane­rin“, aufgenomme­n vor Dachkuliss­e der Wiener Innenstadt.

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