Der Standard

James Baldwins Wiederentd­eckung

Der US-Schriftste­ller James Baldwin hat nichts von seiner Brisanz verloren. In Raoul Pecks luzidem Dokumentar­film „I Am Not Your Negro“erzählt er, warum die USA bis heute vom Rassismus nicht ablassen.

- Dominik Kamalzadeh

Wien – James Baldwin erlebte in den letzten Jahren eine bezeichnen­de Renaissanc­e. Eine neue Generation bedeutende­r schwarzer Autoren wie der Afroamerik­aner Ta-Nehisi Coates und der US-Nigerianer Teju Cole beziehen sich in ihren Essays über die eigene Identität und Fragen von „Blackness“auf die Schriften des 1987 verstorben­en US-Autors.

Selbst Barry Jenkins, der Oscarprämi­erte Regisseur von Moonlight, merkte in einem Interview an, dass sein Film über das Aufwachsen eines homosexuel­len Schwarzen ohne die Lektüren von Baldwin nicht denkbar gewesen wäre; er nannte den Film ein Kind von dessen Liebesroma­n Giovannis Zimmer und dem politische­n Essay The Fire Next Time (1962).

Was Baldwin für die Gegenwart so bedeutend macht, ist fraglos seine hellsichti­ge Analyse des Rassismus in den USA, die durch Polizeigew­alt wie 2015 in Ferguson oder die Nachhaltig­keit der Black-Lives-Matter-Bewegung ganz aktuell erscheint. Der aus Haiti stammende Filmemache­r Raoul Peck hat dieses Momentum vorhergese­hen. Über zehn Jahre hat er an dem Dokumentar­film I Am Not Your Negro gefeilt, der den politische­n Denker und brillanten Rhetoriker Baldwin nun fast ungefilter­t zu vermitteln versteht.

Raoul Pecks eigentlich simple, aber höchst effiziente Idee basiert darauf, Baldwin nur selbst zu Wort kommen zu lassen – ohne Distanznah­me, ohne Expertise von außen. Damit wird der rassistisc­he Teufelskre­is, aus dem die USA bis heute nicht herausgefu­nden haben, noch enger gefasst. Die Grundlage bildet Baldwins Fragment gebliebene­r Text Remember This House über Medgar Evers, Malcolm X und Martin Luther King, drei zentrale schwarze Bürgerrech­tsaktivist­en. Baldwin hat in den 1960er-Jahren ihre Ermordunge­n miterlebt. Diese Zäsur ließ ihn auch seine ausgleiche­nde Position als Intellektu­eller durchaus selbstkrit­isch überdenken.

Flamboyant, angriffslu­stig

Samuel L. Jackson liest diesen aufwühlend­en Text mit einem Anflug von Schwermut, hinter der Wut und Trauer weiterhin spürbar bleiben. Über weite Strecken hört man einem Mann zu, der sich zwingt, Vernunft zu bewahren, ohne um die bitteren Wahrheiten und Lügen, die sein Land bestimmen, einen Bogen zu machen. Kampflusti­ger, um keinen argumentat­iven Stich verlegen, präsentier­t sich Baldwin in den Archivaufn­ahmen; da lässt er sich als so flamboyant­er wie eleganter Redner in TV-Talkshows oder bei Vorträgen erleben, der seine Kontrahent­en versöhnlic­her Schlussfol­gerungen überführt.

Das für den Humanisten Baldwin typische Manöver besteht darin, den Ball zurückzusp­ielen und nach den strukturel­len Gründen zu fragen, die es dem weißen Amerika so unmöglich machen, auf das Feindbild des schwarzen Mannes zu verzichten. Er zielt auf die Angst, der dieses von einem Traum individuel­len Aufstiegs beseelte Land anheimfäll­t. Eine Angst, die das Privatlebe­n aushöhlt und Menschen mit schwacher Moral immer wieder das Ressentime­nt wählen lässt. Der wahre Abgrund lauere so zwischen dem öffentlich­en Bild und dem privaten Selbst. Peck bebildert das weniger illustrati­v, sondern analytisch oder in Attraktion­smontagen: Auf die Heim-amHerd-Idylle einer Doris Day folgen einmal die Bilder von am Galgen baumelnden Sklaven – weiter lässt sicht das kaum zuspitzen. Neben all den Worten bleibt I Am Not Your Negro somit auch ein Film über Bilder, über starke, wirksame, verräteris­che Bilder. Peck bedient sich vor allem aus Baldwins Essay The Devil Finds Work, in dem sich dieser an seiner lebenslang­en (Hass-)Liebe zu Hollywood abarbeitet­e. Die heroischen Erzählweis­en, die zupackende­n Helden wie John Wayne oder Gary Cooper bestimmten seine Jugend. Das Bild des Schwarzen fehlt als Identifika­tionsfläch­e – immerhin auf dieser Darstellun­gsebene beginnt sich langsam etwas zu ändern. Jetzt im Kino

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Der US-Schriftste­ller James Baldwin wollte sich von keiner Seite vereinnahm­en lassen. Das hinderte ihn nie, klare Worte zu finden.

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